Mädchen und der Leibarzt
angeeignet hat, wird er schalten und walten, wie es ihm passt! Und denken Sie doch auch nur an unseren wertvollen Stiftsschatz!«
Gräfin Felicitas kicherte, und jeder konnte hören, wie sie ihrer Nachbarin zuflüsterte: »Bestimmt wird sich der König mit dem eintausend Jahre alten Elfenbeinkamm Heinrichs I. den Bart kämmen.«
»Wohl kaum«, missbilligte die Seniorin die Einlassung der jüngsten Gräfin, »doch ich befürchte, er wird nicht nur den Bartkamm, sondern auch das mit Goldtinte auf Pergament geschriebene Evangeliar mit Kennerblick betrachten und auch an den anderen Schätzen sehr interessiert sein.«
Die Fürstäbtissin winkte ab. »Das sind reine Spekulationen. Dieser Brief gibt keinen Anlass zur Beunruhigung, und
ich sehe keinen Grund, mich meinem ehrenwerten Vetter entgegenzustellen.«
»Das ist doch nur der Anfang!«, empörte sich Gräfin Crescentia. »Zuerst hieß es, man kann unserem Stift überhaupt nichts anhaben. Nun werden wir plötzlich doch in Besitz genommen – aber nichts soll sich ändern. Sollen wir das etwa glauben?«
»Ich bitte darum. Und nun möchte ich, dass wieder Ruhe einkehrt. Gräfin zu Stolberg-Gedern, hätten Sie wohl auch die Güte meinen Worten zu folgen? Ich hätte nicht gedacht, dass die Nachricht einen derartigen Aufruhr auslöst. Ich kann Ihre bitteren Gedanken in Zeiten wirtschaftlich knapper Güter und im Angesicht der Blattern verstehen, dennoch sollten Sie alle nicht immer das Schlimmste befürchten. « Die Fürstäbtissin drehte sich nach ihrem Schreiber um, der mit gesenktem Kopf etwas abseits saß.
»Ich diktiere: Euer Königliche Hoheit, liebster Vetter …« Sie sah dem Schreiber mit gehobenen Augenbrauen zu, bis dieser endlich eine neue Feder angespitzt hatte und bereit war. Dann sprach sie weiter: »Aus angeehrtem Schreiben habe ich die ganz unerwartete Nachricht ersehen müssen, dass mein Stift durch die teilnehmenden Mächte in säkularisiertem Zustande als eine vollständig erbliche Besitzung Euer Majestät zugedacht worden ist. Wie sehr mich diese Nachricht betroffen macht, werden Euer Majestät von selbst leicht zu erahnen geruhen. Das Schicksal, welches meinem gefürsteten Stift bevorsteht, würde uns allen unverschmerzlich sein, wenn es nicht durch einen recht glücklichen Fall in die Hände Euer Majestät gestellt worden wäre, Höchstwelche sich sowohl durch besondere Humanität der Grundsätze, als auch durch ganz eigenen Großmut im Handeln von jeher so rühmlich ausgezeichnet haben. Aus dieser Überzeugung
sehen wir der Zukunft gelassen entgegen, und es ist von großer Beruhigung, die Zusicherung von der wohlwollensten freundvetterlichen Gesinnung Euer Majestät bei dieser Gelegenheit abermals erhalten zu haben. Indem ich Euer Majestät meinen verbindlichsten Dank dafür abstatte, halte ich mich im Voraus vergewissert, wenngleich durch die Sanktion der Entschädigungstraktate mein Stift aufhören wird, ein immediater Reichs- und Kreisstand zu sein, so doch die übrigen Verhältnisse meines Stifts größtenteils beibehalten werden und selbiges solchergestalt fortdauern kann und dass Euer Majestät beauftragten Graf von der Schulenburg-Kehnert dergestalt zu instruieren geruhen, dass meine gewiss sehr billigen Wünsche zum Wohle meines Stiftes völlig befriedigt werden können.
Indem wir uns also ganz dem bekannten Edelsinne Eurer Majestät überlassen, erlauben wir uns die Freiheit, die ganze Dependenz unseres Kapitels Höchstdero Huld und Gnade zu empfehlen und verharren mit den verehrungsvollsten Gesinnungen, Euer Majestät gehorsam ergebenste Gegenwärtige vom Kapitel.«
Die Fürstäbtissin wartete, bis der Schreiber geendet hatte. »Gibt es irgendwelche Einwände?«
Es blieb still, und die Fürstäbtissin erhob sich. »Sodann erkläre ich die Kapitelsitzung für beendet. Herr Stiftskanzler, wären Sie bitte so freundlich, die Gräfin von Hohenstein über den Inhalt der Versammlung zu informieren? Ich selbst werde den Äskulap in Kenntnis setzen, sobald er geruhen sollte, sich um meine Verletzung zu bemühen.«
»Verzeihung.« Sebastian hob die Hand. »Da die Gräfin von Hohenstein wohl noch immer verhindert ist, möchte ich bitte noch an ihrer statt ein paar Worte an das Kapitel richten.«
»Bitte, Sie haben das Wort.« Die Fürstäbtissin setzte sich wieder, wenngleich sich in ihrem Gesichtsausdruck wenig Begeisterung spiegelte. Stühle wurden zurück an den Tisch gerückt.
»Aurelia Gräfin von Hohenstein hat mich darum gebeten,
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