Maedchenauge
warst?«
»Ja.«
Er schüttelte den Kopf.
»Ich glaub nicht, nein …«, sagte er, startete den Motor und löste die Handbremse.
Doch dann hielt er inne, als fiele ihm etwas ein.
»Moment … Ich hab das Haustor gehört, wie es zugefallen ist, dann hab ich hingeschaut, weil ich geglaubt hab, dass das schon du bist …«
»Wen hast du gesehen?«
»Niemanden. Ich hab mir dann gedacht, dass das vielleicht ein Zeitungsausträger war. Die stellen um diese Zeit zu.«
»Stimmt«, sagte Svoboda zufrieden. »Den wird sie wahrscheinlich gemeint haben.«
»Dann hast du den Zeitungsausträger eh gesehen?«
»Ich doch nicht. Ich war oben bei der Horn.«
»Die sind ja auch im Stiegenhaus unterwegs. Gibt es einen Lift, mit dem du gefahren bist?«
»Freilich.«
»Na eben«, meinte er abschließend, »und ist ja nicht so wichtig, oder? War was nicht in Ordnung?«
»Nein, alles okay. Ich habe ihren Ausweis zur Sicherheit kontrolliert. Sonst werde ich noch deppert angeredet, falls etwas schiefgeht. Also, fahren wir.«
*
Lily hatte sich aufs Sofa gesetzt. Die zwei Kuverts lagen vor ihr.
Schon der äußere Unterschied zwischen den Kuverts war augenfällig. Das eine, das die Polizistin bei der Tür gefunden hatte, sah billig und zerdrückt aus, war unbeschriftet und offensichtlich in Eile zugeklebt worden. Das andere war edlerer Natur und sorgfältig verschlossen. Zudem war darauf vermerkt, an wen es gerichtet war: Dr. Lily Horn, Staatsanwaltschaft Wien, Landesgerichtsstraße 11, 1080 Wien . Die Adresse war mit der Hand geschrieben worden. Allerdings hätte ein Grafologe wohl nicht allzu viel aus der Handschrift herauszulesen vermocht. Eine Plastikschablone für Normschriften war verwendet worden, wie sie Geschäfte für Zeichenbedarf anboten.
Lily holte ein Paar Plastikhandschuhe aus der Küche, um nicht alle möglichen Spuren zu zerstören, nahm die Kuverts in die Hand, wog sie und tastete sie vorsichtig ab. Beide bargen offenbar nicht viel Inhalt, ganz leicht ließen sie sich biegen. Mit einem Küchenmesser öffnete sie das Schreiben, das die Polizistin gebracht hatte.
Sehr geehrte Frau Dr. Horn!
Mit großer Freude stell ich fest, dass Sie seit kurzem als federführende Staatsanwältin die Ermittlungen in den Morden leiten, die Wien und die Wiener, besonders aber die Wienerinnen so beschäftigen.
Ich darf Ihnen, wenn Sie dies gestatten, dazu herzlich gratulieren. Zugleich erlaube ich mir, Ihnen das Beste zu wünschen. Möge Ihnen Erfolg beschieden sein.
Bedauerlicherweise muss ich anfügen, dass ich persönlich nicht von einer erfolgreichen Tätigkeit Ihrerseits ausgehe. Gewiss könnten Sie dies als Bösartigkeit eines anonymen Beobachters missverstehen. Dem ist keineswegs so.
Im Gegenteil, ich amüsiere mich leider großartig, und bei mir ist von Bösartigkeit keine Spur! Allerdings basiert mein Amüsement auch auf Ihrer Arbeit. Umgekehrt darf ich davon ausgehen, dass Sie von meiner Arbeit nicht erfreut sind.
Meine Tätigkeit besteht bedauerlicherweise darin, die Stadt Wien von menschlichem Dreck zu säubern. Dies ist, lassen Sie mich Ihnen dies versichern, keine besonders angenehme, zugleich jedoch eine befriedigende Aufgabe. Ich kann nicht zusehen, welche Unordnung in dieser Stadt herrscht. Infolgedessen nahm ich mir vor, zu handeln. Dabei darf es kein Pardon geben. Wir alle wissen, dass Justitia blind ist, deshalb muss sie dazu gezwungen werden, die Realität zu erkennen.
Es war niemand anderer als ich, der drei Mädchen zur Verantwortung ziehen musste, weil sie Schuld auf sich geladen hatten. Ihr lockerer Lebenswandel führte in den Abgrund. Sehenden Auges konnte dies nicht weiter akzeptiert werden, denn die Moral stand auf dem Spiel.
Die Moral darf nicht gefährdet werden, denn sonst kann es keine Gerechtigkeit geben. Jeder Richter hat das zu wissen und in sein Handeln einzubeziehen.
In höchstem und verabscheuungswürdigstem Maße wird die Moral jedoch auch verletzt, sobald in ihrem Namen Handlungen begangen werden, die ihr widersprechen. Im konkreten Fall bedeutet dies: Wer lügt, kann nicht moralisch sein. Sie sehen, dass ich nicht lüge, sondern Ihnen die Wahrheit vermitteln möchte. Deshalb sei Ihnen gesagt: Die Wahrheit ist, dass jene junge Frau, die zuletzt gewaltsam zu Tode kam, nicht von mir zur Rechenschaft gezogen wurde. Um es einfacher für Sie zu machen und damit Sie die Angelegenheit durchschauen: Die Fälle Foltinek, Back und Karner haben nicht das Geringste mit der Tötung von Selma
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