Maedchenauge
gibt.«
»Und?«
»Ich habe nachgedacht, ich muss noch einen Blick in die Unterlagen werfen … aber ich glaube nicht, dass ich mich irre. Es gibt diesen Bezug.«
Plötzlich war es egal, dass Lily mitten im Gewimmel stand und telefonierte. Sie hatte nur noch Ohren für die Stimme aus dem Handy.
»Moment, Herr Major … Sie denken …?«
»Gar nichts denke ich. Ich weiß es. Mich wundert nur, dass mir das nicht längst aufgefallen ist. Keine Ahnung, was da mit mir los war.«
*
Früher hätte Lily das Café Landtmann nie im Jogginganzug betreten. Doch mittlerweile sah sie keinen Grund mehr für allzu viel Ehrerbietung angesichts der eitlen Politiker und diversen anderen Anzugträger, die dort tagsüber Hof hielten. So viel mit Selbstüberschätzung gepaarter Eitelkeit musste man geradezu etwas entgegensetzen.
Sie erkannte Mario Promegger sofort. Er saß an einem Tisch im gläsernen Verbau, der das Lokal auf den Vorplatz erweiterte.
Der Kriminalpsychologe erhob sich und begrüßte Lily freundlich. Er war kleiner, als sie es erwartet hatte. Die Fernsehkameras, vor denen sich Promegger gerne produzierte, schönten die Realität.
Eilfertig war der Kellner herbeigerast. Lily musste lächeln. Natürlich, Promegger galt hier als Prominenter. Also wurden er und seine Gäste mit wienerischer Unterwürfigkeit bedient. Lily bestellte einen großen Braunen und stilles Mineralwasser.
Promegger musste gerade ein üppiges Frühstück beendet haben. Vor ihm standen Teller und Schüsselchen, ein halb geleertes Glas Orangensaft, ein Teekännchen samt Tasse. Er trug exakt die Kleidung, die man von seinen Fernsehauftritten kannte, einen dunkelgrauen Anzug, ein weißes Hemd mit goldenen Manschettenknöpfen, eine gepunktete Fliege. Promegger war ein Mann aus der tiefsten Provinz. Sein Auftreten hatte etwas Professorales.
Er begann ohne große Vorreden. Als hätte Lilys Erscheinen ihm das Stichwort geliefert. »In zwei Stunden habe ich eine TV-Aufzeichnung. Eine neue zwölfteilige Serie. Legendäre Verbrechen der österreichischen Kriminalgeschichte. Und ich analysiere die Täterpersönlichkeiten. Das wird eine spannende Show, glaube ich.«
»Sicher«, sagte Lily desinteressiert. »Vielleicht können Sie meinen Fall auch irgendwann fürs Fernsehen aufbereiten.«
»Möglich, wenn nicht sogar sehr wahrscheinlich. Dergleichen darf sich das Fernsehen gar nicht entgehen lassen. Da muss man kein Prophet sein, um die Quote vorherzusagen.«
Lily hatte Promegger auf Anhieb unsympathisch gefunden. Umso mehr wunderte sie sich, weshalb Belonoz so große Stücke auf ihn hielt. Er hatte geradezu darauf gedrängt, ihn in diesen Fall einzubinden.
Promegger plauderte munter weiter. »So ist das Fernsehen halt. Man braucht das Erwartbare, den kalkulierbaren Effekt. Ich passe mich dem an und trage mein Kostüm.«
Lily runzelte die Stirn. »Welches Kostüm?«
»Diesen Anzug mit dieser Fliege. Wenn es nach mir persönlich ginge, würde ich mich so anziehen wie Belonoz. Ganz in Schwarz. Das war mein Stil, bevor ich im Fernsehen aufgetreten bin. Vor der Prominenz sozusagen. Als Kriminalpsychologe sollte man zurückhaltend sein. Der Täter steht im Mittelpunkt. Nicht ein vorlauter Experte. Aber die Fernsehleute haben mir die schwarze Kleidung verboten. Das kommt auf dem Bildschirm nicht gut, haben sie gesagt. Irgendeine Modeberaterin hat mir das Kostüm verpasst. Ich hasse es, aber inzwischen ist es mein Markenzeichen geworden. Eigentlich komisch. Alle glauben, dass man viel Einfluss besitzt. In Wirklichkeit ist man weiterhin ein machtloses Männchen, das brav sein mediales Image bedienen muss.«
Sie blickte Promegger scharf an. Seine letzten Bemerkungen hatten noch ein anderes Licht auf ihn geworfen.
»Ich verstehe, worauf Sie abzielen«, sagte sie. »Und von mir aus können Sie anziehen, was Sie wollen. Mir kommt es lediglich darauf an, ob Sie etwas zur Aufklärung dieser Morde beitragen können.«
»Deshalb habe ich in der Nacht auf heute alle verfügbaren Akten studiert.«
Lily war überrascht. »Das habe ich nicht gewusst.«
»Belonoz hat das ermöglicht. Bis vier Uhr früh war ich in der Kriminaldirektion und habe gelesen, was zu diesem Fall verfügbar war.«
»Das ist gut«, sagte Lily. »Sind Sie zu irgendwelchen Schlüssen gekommen?«
»Sicher. Das ist einer der seltsamsten Fälle überhaupt.«
»Sorry, aber diese Einschätzung hilft mir nicht sehr viel weiter.«
Promegger lachte, und mit einem Mal wirkte er entspannt und
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