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Maedchenauge

Maedchenauge

Titel: Maedchenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian David
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gelöst. »Das kann ich verstehen. Und doch ist es so. Wenn es nicht jeweils einen ähnlichen Tathergang gegeben hätte, wäre da nichts, was diese Morde verbindet.«
    »Vielleicht, dass es Studentinnen ähnlichen Alters sind? Die allein in zentralen Bezirken Wiens leben?«
    »Richtig. Nur sind das Fakten, die von einem zufälligen Täter niemals hätten antizipiert werden können.«
    »Also?«
    »Also sind das keine zufälligen Opfer. Ein normaler Serientäter sucht sich in erster Linie die richtige Situation aus. In diesem Fall hat er sich primär die richtigen Opfer ausgesucht. Der Tathergang wurde dann der jeweiligen Situation angepasst. Aber wie hat er sich die richtigen Opfer ausgesucht? Und wie hat er sie gefunden? Das sind die offenen Fragen. Deswegen ist dieser Fall seltsam. Weil die zentralen Punkte unerklärlich sind.«
    »Das stimmt natürlich, aber …«
    »Die Opfer stehen im Mittelpunkt. Der Tathergang ist von sekundärer Bedeutung. Bis auf ein Detail.«
    »Welches?«
    »Die ausgestochenen Augen in den drei ersten Fällen. Dieses Merkmal ist äußerst wichtig.«
    »Inwiefern?«
    »Es ist ein Zeichen von kontrollierter Aggression. Wohingegen die zahlreichen Messerstiche auf die Körper der Opfer ungefilterte Aggression darstellen. Zuerst Hass auf die Person, danach der Wunsch, das Augenlicht zu zerstören. Emotionalität und Rationalität treffen zusammen. Das gibt es selten. Vor allem im Zusammenhang mit der Wahl der Opfer, wie wir sie hier vorfinden.«
    »Was schließen Sie daraus?«
    »Hinter den Morden muss eine konkrete Geschichte stehen. Die müssen Sie herausfinden. Aber gehen Sie davon aus, dass die Opfer nicht zufällig gewählt sind. Genau diese Personen sollten getötet werden, weil sie Hass auf sich gezogen hatten. Die ausgestochenen Augen sind ein symbolisches Zeichen. Es geht um das Sehen, um die Wahrnehmung. Möglicherweise haben diese Opfer etwas gemeinsam, das bisher unberücksichtigt geblieben ist. Eventuell haben sie etwas gesehen, das sie nicht hätten sehen sollen. Durch das Ausstechen der Augen nimmt der Täter darauf Bezug.«
    Lily nickte schweigend und trank ihren Kaffee aus.
    »Wie erklären Sie sich, dass es im letzten Fall keine ausgestochenen Augen gab?«, fragte sie.
    »Ein guter Punkt. Abgesehen davon scheint ja alles ins vertraute Bild zu passen. Etwa die Beschreibung des Täters durch Zeugen. Aber ein zentrales Tatmerkmal, die ausgestochenen Augen, kommt nicht vor. Es wäre also vorstellbar, dass der jüngste Mord nicht zu der Serie gehört. Eine Imitation sozusagen. Lediglich die Aggression gegen die junge Frau stimmt mit den anderen Fällen überein. Aber das ist es auch schon. Wie es zu dieser Imitation gekommen sein mag … dazu kann ich nichts sagen. Das ist Ihr Bereich.«
    Lily schaute Promegger direkt an. Der erwiderte ihren Blick ruhig, ohne seine Gefühle zu verraten.
    Plötzlich begriff sie, weshalb Belonoz ihn empfohlen hatte.
    Letztlich war es eine Sache des Vertrauens. In jemanden, der unverschnörkelt Klartext redete. Und sich selbst in die öffentliche Person und den echten Menschen aufspaltete.
    Aus einer Seitentasche ihres Jogginganzugs holte sie zwei fotokopierte Seiten, die sie mittlerweile stets bei sich trug, und reichte sie Promegger. Es war der Brief des Mannes, der sich Der Richter genannt hatte. »Lesen Sie das bitte. Und sagen Sie mir, was Sie davon halten.«
    Promegger holte ein braunledernes Etui aus seiner Tasche, und aus diesem wiederum eine goldumrandete Lesebrille. Er setzte sie auf und fing an, sehr konzentriert zu lesen.
    Als er fertig war, beugte er sich vor und legte die beiden Blätter auf den Tisch. Mit den Händen strich er behutsam darüber, als wollte er sie glätten. Sein Blick blieb auf den Brief fixiert. Er schien nicht mehr zu lesen, sondern den Text zu durchsuchen.
    Dann nahm er plötzlich die Hände von dem Brief weg, wie von einem heißen Topf. Zugleich schaute er Lily intensiv an.
    Aus seinem Blick war die bisher dominierende Jovialität verschwunden.
    Er setzte die Brille ab. »Frau Doktor Horn, ich kann Ihnen nur raten, sehr vorsichtig zu sein. Der Mensch, der diese Zeilen verfasst hat, ist äußerst gefährlich. Sein sprachlicher Stil beweist, dass er von überdurchschnittlicher Intelligenz und Bildung ist. Er drückt sich durchaus komplex aus. Aber was er sagt, ist hart und brutal. Er kennt keine Gnade. Sorge bereitet ihm lediglich, dass jemand sich erfrecht hat, seine Taten zu imitieren. Das kränkt ihn. Ein Zeichen

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