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Maedchenauge

Maedchenauge

Titel: Maedchenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian David
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antritt, wird bestrebt sein, möglichst viel unter den Teppich zu kehren. Und deshalb die vollständige Aufklärung behindern. Damit die Wahlen nicht in eine Katastrophe ausarten. Und jetzt kommen wir ins Spiel. Genauer gesagt Sie, Frau Doktor. Die besten Chancen als Nachfolgerin von Stotz hat im Moment Vizebürgermeisterin Lohner. Also genau die Frau, von der Sie am Freitag angerufen worden sind.«
    Lily sehnte sich danach, die bei Onkel Neubauer erreichte Lockerheit zurückzugewinnen. »Vielleicht wird sie sich darum bemühen, alles möglichst umfassend aufzuklären …«
    Doch Belonoz lächelte zynisch. »Das glauben Sie nicht wirklich, oder? Ich jedenfalls nicht, tut mir leid, Frau Staatsanwältin. Bis heute waren die Fronten in Wien relativ klar. Auf der einen Seite Stotz mit seiner einflussreichen Clique. Auf der anderen Lohner, die ehrgeizig ist, aber nicht die entscheidenden Connections hat. Der große Kampf um die Macht wird einsetzen, bis die Rollen neu verteilt sind. Wenn sich Marina Lohner durchsetzen will, darf sie die Stotz-Leute nicht total vergrämen. Also wird sie die Pratorama -Ermittlungen nach Möglichkeit abdrehen. Das heißt, noch mehr Leute werden alles dafür tun, dass die Wahrheit nicht ans Licht kommt.«
    »Okay, aber das betrifft hauptsächlich Seiler.«
    »Nein, auch uns. Glauben Sie, irgendjemand will, dass die Morde mit dem Rathaus in Verbindung gebracht werden? Selbst jene, die uns vielleicht hätten helfen wollen, werden von nun an gegen uns arbeiten. Wir sind plötzlich sehr allein, Frau Doktor.«
    »Das waren wir eigentlich schon immer, Herr Major. Wir haben es nur nicht gleich erkannt.«
    Schweigend sahen sie sich kurz darauf die Fernsehnachrichten an. Der Großteil war dem Schlaganfall des Bürgermeisters gewidmet. Ein Reporter meldete sich mit düsterer Miene live vom Allgemeinen Krankenhaus, in das Stotz eingeliefert worden war. Als der Moderator zum nächsten Thema überleitete, griff Belonoz zur Fernbedienung.
    Da schrie Lily auf. »Halt, warten Sie!«
    Der nächste Beitrag berichtete von einem Mann, dessen verkohlte Leiche in einem ausgebrannten Einfamilienhaus in der Nähe von Wien gefunden worden war. Ein Passfoto des Mannes wurde gezeigt.
    Belonoz winkte müde ab.
    »Ich habe davon gehört«, sagte er desinteressiert. »Kollegen haben mir …«
    Lily unterbrach ihn. »Ich habe … Ich habe diesen Mann gekannt, Herr Major.«
    Es vergingen einige Sekunden, bis Belonoz reagierte.
    »Was meinen Sie bitte?«, fragte er. »Welchen Mann haben Sie gekannt?«
    »Den Toten aus dem Einfamilienhaus.«
    Belonoz starrte sie entgeistert an. »Diesen … den haben Sie …?«
    »Ja«, sagte Lily und nickte. »Zumindest habe ich ihn vor kurzem kennengelernt.«
    Die Stimme des Majors war hart und schneidend geworden. »Und Sie irren sich nicht? Sind Sie ganz sicher?«
    Lily nickte, und erst jetzt vermochte sie ihre Augen vom Bildschirm zu lösen. Der Moment der Wahrheit war gekommen, rascher, als es Lily oder Belonoz für möglich gehalten hätten.
    »Herr Major, ich bin mir hundertprozentig sicher. Das ist der Mann, den ich vor zwei Tagen beim Theseustempel getroffen habe.«
    *
    Äußerlich signalisierte sie vollkommene, selbstsichere Gelassenheit.
    Tatsächlich war Marina Lohner übel vor Nervosität und Angst, als sie zur hastig einberufenen Krisensitzung im Rathaus eintraf. Neben den Mitarbeitern von Stotz waren alle wesentlichen Mitglieder der Koalitionsrunde erschienen. Lohner wusste, was auf dem Spiel stand. Sie war an einem entscheidenden Wendepunkt ihrer Karriere angelangt. Danach würde ihr Weg entweder in strahlende Höhen führen. Oder sie würde akzeptieren müssen, in einer Sackgasse angekommen zu sein.
    Im Sitzungssaal sah sich Marina Lohner mit drei Arten von Menschen konfrontiert. Die einen waren ihre deklarierten Feinde. Die anderen ergingen sich in vorsichtiger Zurückhaltung und harrten des geeigneten Moments, um sich rechtzeitig auf die richtige Seite schlagen zu können. Eine kleine Minderheit bekundete ausdrückliche Sympathie für die Vizebürgermeisterin.
    Sie wusste, dass es auf sie allein ankam. Kaum jemand würde ihr beistehen. Sie war die Außenseiterin. Immerhin konnte sie auf die Kraft des Moments bauen. Das entstandene Machtvakuum sorgte für Ratlosigkeit unter den Anwesenden. Niemand hatte Vorschläge im Ärmel, wie es weitergehen sollte. Der Schlaganfall von Stotz hatte sämtliche Planspiele obsolet gemacht. Angesichts des bedrohlich näher rückenden

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