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Maedchenauge

Maedchenauge

Titel: Maedchenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian David
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Neubauer war mit dampfendem Kaffee erschienen und hatte sich wortlos zurückgezogen.
    Ihr Mann schenkte zwei Tassen ein, dazu kredenzte er Wasser aus einer bereitstehenden Karaffe. Lily war froh, ihre leichte nachmittägliche Müdigkeit wegtrinken zu können. Nach einer kurzen Pause setzte Onkel Neubauer fort, wo sie aufgehört hatten. Doch erst, nachdem er seine inzwischen erloschene Zigarre wieder ausgiebig befeuert hatte.
    »Früher hast du geglaubt, dein Vater hätte dir etwas vorenthalten«, sagte er.
    Lily verzog kurz das Gesicht. »Von der traditionellen Familie hat er irgendwie nicht viel gehalten. Wir waren deshalb auch keine Familie in dem Sinne … er und ich. Meine Mutter war weg und … er hat es abgelehnt, wirklich zum Vater zu werden. Wie um das zu demonstrieren, war er oft abwesend. Als Kind war ich wütend auf ihn. Erst später habe ich verstanden, dass er … Er hat mich nicht schlecht behandeln wollen. Sondern er war auf der Flucht. So wie er als Jugendlicher auf der Flucht gewesen war. Und später in den Untergrund gegangen ist. Zu den Leuten, die er als legitime Widerstandskämpfer gegen Unterdrückung und Versklavung von Arbeitnehmern betrachtet hat. Er hat das nie mehr abschütteln können. Er hat das Vertrauen verloren, dass es irgendwo ein Zuhause geben könnte. Fatal war, dass er mir seine Geisteshaltung unbedingt hat eintrichtern wollen.«
    »Du sagst fatal ?«
    »Ja, ich verwende bewusst dieses Wort. Es hat etwas mit Schicksal und Bestimmung zu tun. Heute würde ich vielleicht von Karma reden. Jedenfalls hat er gewollt, dass ich das, woran er geglaubt hat, einfach akzeptiere und von ihm übernehme.«
    »Wie siehst du sein Verhalten heute?«
    Lily blickte zur Decke und ließ sich Zeit. Sie wollte die richtigen Worte finden. Onkel Neubauer verhielt sich still, er rauchte und bewegte sich kaum.
    »Mit gemischten Gefühlen«, sagte Lily. »Ich kann ihn hundertprozentig verstehen. Aber es war problematisch, dass er versucht hat, mir etwas überzustülpen. Zugleich weiß ich, dass er es nicht besser gewusst hat. Und er hat mich davor bewahren wollen, an trügerische Illusionen zu glauben. Es ist ihm darum gegangen, mich für das zu präparieren, was er für das wahre Leben gehalten hat. Um mich vor Enttäuschungen zu bewahren.«
    »Der Begriff Illusionen taucht immer wieder auf in deinen Erzählungen. Fällt dir das auf?«
    »Das stimmt. Mein Vater wollte, dass ich die Realität sehe. Also hat er es dauernd darauf angelegt, alle möglichen Illusionen zu zerstören. Er hat das in gutem Glauben getan. Aber für ein Kind … für mich war das schwierig. Jedes Kind braucht … wenn nicht Illusionen, dann zumindest Träume. Für meinen Vater war das nichts als Selbstbetrug.«
    Onkel Neubauer lächelte milde. »Ja, in der Hinsicht war er sehr strikt. Man kann diese Haltung besser verstehen, wenn man seine Geschichte kennt, glaubst du nicht?«
    »Natürlich, aber für mich war es hart. Vielleicht war es eine Art von Protest, dass ich so bemüht war, fixen Ideen nachzujagen. Hochzeit, Ehe, Kinder …«
    »Und in dieses Schema hat Ben hineingepasst?«
    »Im Grunde hat er dasselbe gewollt wie ich. Aber für ihn war das etwas völlig Selbstverständliches. Für mich … waren das eher Obsessionen. Ich habe etwas nachholen wollen, von dem ich geglaubt habe, dass es mir entgangen ist. Mein Vater hat Religiosität komplett abgelehnt. Er hat mir immer gesagt, dass es keinen Gott geben kann. Wenn es einen Gott gäbe, hätte er nicht all die Grausamkeiten zugelassen, die sich in der Geschichte ereignet haben. Das hat er mir regelmäßig vorgehalten. Er hat sämtliche Kriege, Genozide, Massenmorde, Massaker und Vertreibungen als Beweise dafür angeführt, dass er recht hat.«
    »Man könnte deinen Vater als desillusioniert beschreiben?«
    »Schon. Aber mit einer solchen Haltung kann ein Kind schlecht umgehen. Als Kind erwartet man von den Eltern, dass sie Träume nicht zerstören. Man will nicht so weit kommen, dass man sich fragt, woran man überhaupt glauben und worauf man hoffen darf.«
    Eine kurze Pause entstand. Das Gesagte musste im Raum nachhallen und begriffen werden.
    »Wieso hat es mit Ben nicht geklappt?«, fragte Onkel Neubauer vorsichtig, um den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen.
    »Vielleicht, weil er mich nie verstanden hat, wenn ich ihm von meinen Problemen erzählt habe. Er ist in einer Behütetheit aufgewachsen, die mir letztlich fremd war. Daraus hat sich irgendwann ein großer Graben

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