Maedchenauge
schon auf dem Kerbholz.«
»Wenn er ein wichtiger Zeuge in einem Mordfall ist, sieht seine Situation vielleicht anders aus. Nämlich besser.«
Vorsichtig signalisierte Taub Zustimmung. »In einem solchen Fall könnte man vielleicht etwas für ihn tun. Aber nur, falls er wirklich kooperativ ist.«
Eine halbe Stunde später saß Lily dem jungen Mann gegenüber. Der sonnte sich lächelnd in der Gewissheit, plötzlich wichtig geworden zu sein. Er war sich seiner Sache so sicher, dass er sogar einen Anwalt abgelehnt hatte.
»Ich kann Ihnen helfen«, sagte er selbstbewusst. »Aber nur wenn Sie mir auch helfen.«
Lily ließ sich die Anspannung nicht anmerken, sondern lächelte lässig. »Wieso sollte ich das tun?«
»Weil beide Seiten etwas davon haben. Sie finden die zwei Personen, und ich … ich kriege Vergünstigungen, über die wir uns noch einig werden müssen.«
»Und Sie glauben, dass ich darauf einsteige? Nur weil Sie irgendetwas behaupten?«
»Den Beleg erhalten Sie innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Oder maximal achtundvierzig. Für Sie stellt das kein Risiko dar. Sie gewinnen etwas. Ohne meine Mitarbeit schaffen Sie das nicht. Nur ich weiß, wo ich die beiden treffe. Außerdem sind sie sehr vorsichtig. Wenn die mich nicht zur vereinbarten Zeit am vereinbarten Treffpunkt sehen, kommen die gar nicht erst in die Nähe.«
»Ich glaube, wir könnten das auch ohne Sie schaffen. Vielleicht dauert es ein paar Tage länger, aber wir würden die beiden kriegen.«
Der junge Mann lächelte nachsichtig. »Sicher würden Sie das zustande bringen. Irgendwann. Aber erstens haben Sie es eilig, das erkenne ich an den Phantombildern. Die gibt es nur, wenn die Ermittler nicht mehr weiterwissen. Und zweitens kenne ich Sie, Frau Horn. Ich weiß, welchen Fall sie bearbeiten. Also weiß ich auch, dass Sie auf mich angewiesen sind.«
Lily blieb skeptisch. Doch wenn der Mann die Wahrheit sagte, hätte er den Ermittlungen in Österreichs meistbeachtetem Mordfall enorm geholfen. Das musste honoriert werden. Sie garantierte ihm also, in der Drogenstrafsache etwas für ihn zu tun, falls sich seine Angaben als wahr erweisen würden. Eine Bewährungsstrafe läge im Bereich des Möglichen.
Sie verhörte ihn eingehend, und er behauptete standhaft, von dem jungen Mann und der blonden Begleiterin beinahe täglich aufgesucht zu werden. Ansonsten schien er nichts über die beiden zu wissen. Nur dass sie jedes Mal korrekt zahlten, ohne zu murren.
»Das sind wirklich gute Kunden«, sagte der Dealer.
Er wollte Lily von seinem Privatleben erzählen. Doch sie ließ sich nicht ablenken. Sie erklärte ihm, dass sie noch mehr für ihn tun würde können, falls er über seine Hintermänner und Lieferanten auspacken würde. Der Dealer wurde zunächst stutzig und plötzlich sehr zurückhaltend. Schließlich kündigte er an, möglicherweise mehr preiszugeben. Lily garantierte ihm, dass ein Weg gefunden würde, das Verfahren gegen ihn niederzuschlagen. Als wichtiger und möglicherweise gefährdeter Zeuge könnte er in den Genuss einer bevorzugten Behandlung kommen.
Das Gespräch war nicht einfach. Am Ende jedoch hatte der Mann begonnen, ernsthaft über die ihm in Aussicht gestellten Möglichkeiten nachzudenken. Und Lily begann mit ihm zu verhandeln.
*
Pünktlich begann die Besprechung in der Kriminaldirektion. Beinahe die gesamte Gruppe Belonoz war anwesend, auf besonderen Wunsch des Majors auch Nika Bardel. Sie hatte sich zwischendurch zwei Stunden hingelegt und sah ungewohnt zerknittert aus. Lediglich Steffek fehlte, den Belonoz mit dringenden Arbeiten entschuldigte. Belonoz und Lily hatten zuvor vereinbart, den Brief des Mörders gemeinsam zu besprechen. Kopien des Schreibens wurden verteilt.
Marlene Metka schüttelte entsetzt den Kopf. »Wie gestelzt der Typ schreibt. Was nichts daran ändert, dass es ein gefährlicher Irrer sein muss.«
»Richtig, Frau Metka«, sagte Lily. »Er ist gefährlich. Zugleich verwendet er gebildet klingende Worte. Ein Wolf im Pelz eines Intellektuellen. Genau nach einer solchen Person müssen wir suchen. Außerdem ist er überheblich. Er glaubt, über dem Gesetz zu stehen, und bezeichnet sich als Der Richter . Dadurch versucht er, seinen Taten Respektabilität zu verleihen. Woraus wir wiederum erkennen können, dass er sich zwar selbstbewusst gibt, das aber eigentlich gar nicht ist. Er fühlt sich innerlich klein und minderwertig. Zum Trost spielt er sich als moralische Autorität auf, die über andere
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