Maedchenauge
ansteigende Hitze des Tages und verdrängte die eigene Nervosität.
Um acht Uhr dreißig stieg Major Belonoz vor der Kriminaldirektion aus und führte sich die Situation vor Augen.
Mehr als bloß ein neuer Tag und eine neue Woche hatten begonnen. Eine Schwelle war überschritten worden. Der entscheidende Teil des Spiels war eingeläutet worden. Der Kampf aller gegen alle hatte eingesetzt. Zunächst würden sie sich zu Rudeln zusammenrotten, um ihre Mutlosigkeit zu übertölpeln. Erst am Schluss würden sie erkennen, dass sie immer schon allein gewesen waren. Solange es Menschen geben würde, musste mit diesem Verhalten gerechnet werden. Belonoz wusste das, nie hatte er etwas anderes erlebt.
Der Mörder würde sich gegen seine Entdeckung wehren, die Politik gegen die erfolglosen Ermittler, die Bürger gegen ihre Angst und überhaupt gegen alles und alle, die sie dafür verantwortlich machten. Die Zeit der verschämt zurückgehaltenen Empörung war vorbei. Es ging nur noch darum, möglichst viele Schuldige zu identifizieren.
Edi Steffek und Nika Bardel hatten die Nacht durchgearbeitet. Ihre nervöse Munterkeit war ein Resultat der Übermüdung. Um sieben Uhr war Chefinspektor Emil Kovacs eingetroffen, gleich darauf Abteilungsinspektorin Marlene Metka. Kovacs war ein großgewachsener, muskulöser Dreißigjähriger, dessen graubraune Kleidung einem bisher unentdeckt gebliebenen Modestil zugerechnet werden musste. Ein Bürstenhaarschnitt zähmte sein volles, schwarzes Haar. Metka war dunkelblond und lediglich zwei Jahre jünger als er. Doch ihre engen Jeans, das verwaschene, von einem alternativen Musikfestival stammende T-Shirt und die ausgetretenen Ballerinas zeigten deutlich, dass sie bereits einer anderen Generation angehörte als Kovacs.
Kurz nach neun Uhr versammelte Belonoz die engsten Mitarbeiter der Mordkommission in seinem Büro. Die Fenster waren die Nacht über offen gestanden. Noch konnte man sich an unverbrauchter Luft laben. Steffek und Bardel durften auf den vorhandenen Stühlen sitzen, während Metka und Kovacs stehen mussten.
»Habemus Staatsanwältin«, sagte Belonoz emotionslos und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, während sein Blick durch die Fenster hinaus ins Freie wanderte. »Lily Horn heißt die Frau. Lenz hat mir schon ein Rendezvous mit ihr zugeschanzt.«
Nika Bardel runzelte die Stirn.
»Wer bitte ist Lily Horn?«, fragte sie skeptisch. »Kann die was? Was kann sie?«
»Salusek«, antwortete Belonoz, und einen Moment lang herrschte absolute Stille.
»Na sicher, daher kenne ich sie«, platzte es unvermittelt aus Marlene Metka heraus. »Das war doch in allen Medien, du erinnerst dich sicher daran, Nika. Diesen Mörder hat sie …«
»Genau, sie hat «, unterbrach der Major gelassen.
Metka lächelte stolz. »Ich hab gleich gewusst, dass mir der Name was sagt. Die Journalisten haben sich um sie gerissen. Sie hat alles abgelehnt. Keine Interviews, kein Auftritt in einer Talkshow, nichts. Echt erstaunlich. Die meisten ihrer Kollegen hätten wahrscheinlich …«
Belonoz nickte, sein Mund war schmal geworden. »Alles richtig. Aber das ist die Vergangenheit. Was Lily Horn heute oder in Zukunft taugt, muss sie bald beweisen.«
Dabei sah er Metka scharf an und fragte sich, welche verborgenen Talente in dieser kleinen, leicht burschikosen Person schlummerten. Immer schon hatte er ihr Fähigkeiten unterstellt, die sie für die Mitarbeit in der Mordkommission prädestiniert erscheinen ließen. Deshalb hatte er sie schließlich in die Truppe geholt. Obwohl Steffek ihm abgeraten und auf ihr jugendliches Alter verwiesen hatte. Aber welcher Art diese Fähigkeiten waren, vermochte er noch immer nicht zu definieren. Belonoz hatte spontan und instinktiv gehandelt, wie ein Fußballtrainer, der auf einen noch nicht ganz ausgereiften Spieler setzte. Seitdem wartete er auf den Moment, der Metkas Stern zum Leuchten bringen würde.
»Die Salusek-Sache hat sie jedenfalls gut gemacht«, sagte Steffek so überzeugt, dass er einen scharfen Seitenblick Bardels erntete.
Kovacs hatte bisher mit unbewegter Miene gelauscht. Jetzt räusperte er sich.
»Persönlich habe ich nie was mit ihr zu tun gehabt«, sagte er, »aber ich kenne zufällig jemanden, der bei der Fahndung nach Salusek mit von der Partie war. Staatsanwältin Horn muss hart gewesen sein, aber auch offen und kommunikativ. Oder nein, nicht hart. Sondern unnachgiebig . Fast schon stur. So hat er sie beschrieben.«
»Und was hat sie nach der
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