Maedchenauge
aufgestanden und in die Küche gegangen, wo sie die Espressomaschine in Gang gesetzt hatte. Auf dem Weg ins Bad hatte sie sich das Handy geschnappt und einen Blick auf die während der Nacht eingetroffenen Nachrichten geworfen.
Sie war im Türrahmen des Badezimmers stehen geblieben, um zu lesen, was Sasha Bonino ihr hatte mitteilen wollen.
Fast wie in Trance hatte sie anschließend geduscht. Die Gedanken waren durch ihren Kopf gerast, während das Wasser auf sie herabgeprasselt war. Als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Als hätte man sie aus dieser Stadt vertrieben. Und dauernd hatte sie erwartet, dass ihr im nächsten Augenblick eine Lösung einfallen würde. Aber das geschah einfach nicht.
Auf ihrem Oberkörper hatte Marina Lohner Duschlotion verteilt und abgespült. Und wenig später die Prozedur hastig wiederholt. Sie war nicht mehr fähig gewesen, sich zu erinnern, ob sie es bereits getan hatte.
Boninos Botschaft war klar und schnörkellos gewesen: Liebe Marina, nach dem neuen Frauenmord hat sich innerhalb der Redaktion ein Konsens gebildet: Wir müssen vor der Wiener Wahl kritischer berichten. Die Konkurrenz auf dem Mediensektor ist enorm. Deshalb wird meine Zeitung deine Sicherheitspolitik und deine Kampagne härter anfassen. Ich bin sicher, dass du als Profi das verstehen und sportlich nehmen wirst. Viel Glück, S.
Lohner hatte ihr gerade abgetrocknetes Gesicht im Spiegel betrachtet. Plötzlich hatte sie sich als über Nacht gealtert, einsam und verbraucht empfunden. Jegliches Selbstwertgefühl war verschwunden. Wie wild hatte sie daraufhin Feuchtigkeitscreme in die Haut massiert.
Ende . Aus . Diese zwei Worte waren durch ihren Kopf gerast. Ihre Hände hatten gezittert, aber sie hätte nicht zu sagen vermocht, ob vor Wut oder aus Angst.
Alles, wofür sie sich seit Jahren abgemüht und ihr Privatleben geopfert hatte, empfand sie als ausgelöscht. Das gestrige Gespräch mit Berti Stotz war bloß der Anfang gewesen. Nun hatte die in ihrem Verlag diktatorisch agierende, für beinharten Kampagnenjournalismus berüchtigte Herausgeberin der einflussreichsten Boulevardzeitung Österreichs Kritik angekündigt. Was gemäß Sasha Boninos Kriterien nichts anderes als hemmungslose Attacken bedeutete. Und dass sie Lohner die bisherige Unterstützung entzogen hatte.
In weniger als vierundzwanzig Stunden hatte sich die Situation komplett gedreht. Kein Rückhalt mehr durch Berti Stotz, dazu die Kriegserklärung von Sasha Bonino. Dabei hatte Lohner ihr Leben danach ausgerichtet, viel zu erreichen. Sie hatte sogar auf eine Ehe und Kinder verzichtet, im festen Glauben, nur möglichst ungebunden und unabhängig den Sprung an die Spitze zu schaffen.
Die vorgesehenen Termine der folgenden Stunden hatte Lohner wie ein Roboter absolviert. Innerlich dagegen war sie von der wachsenden Überzeugung beherrscht worden, sich selbst abhandengekommen zu sein.
Bis sie erkannte, dass sie unter keinen Umständen tun konnte, wozu man sie offenbar zwingen wollte. Nein, sie war nicht gewillt, den Traum von der Wiener Bürgermeisterin Marina Lohner zu begraben. Wenn sie schon untergehen musste, dann eben im Kampf. Und ohne Rücksicht auf Verluste.
Es war gegen Mittag in dem japanischen Restaurant unweit des Stephansdoms. Die Innenausstattung wurde von warmen Braun- und Goldtönen geprägt, das effiziente Service entsprach den Erwartungen der betuchten Gäste. Während Lohner das von stumpfsinniger Routine geprägte Treffen mit öden Parteifunktionären aus Kärnten gleichsam im Standby-Modus über sich ergehen ließ, fasste sie einen Entschluss. Sie entschuldigte sich für einen Moment und hastete zur Toilette.
Zuerst überzeugte sie sich, dass sie allein war und niemand mithören könnte. Danach kramte sie das Handy aus ihrer Handtasche und wählte eine Nummer.
Als sich am anderen Ende der Leitung jemand meldete, verzichtete Marina Lohner auf lange Vorreden. »Okay, ich weiß, dass die Pressekonferenz morgen stattfinden soll. Also ist jetzt die Zeit für einschneidende Maßnahmen gekommen. Sonst können wir alles vergessen, was wir uns vorgenommen haben. Die Schläge werden hart ausfallen und Berti Stotz wird bluten. Auch für Sasha Bonino wird es eng werden. Aber diese Leute haben es nicht anders verdient. Im Gegenteil. Sie haben es so gewollt.«
Dienstag, 15. Juni
8
Die Dusche hatte Wunder bewirkt. Für zwanzig Minuten. Als er im Taxi saß, überflutete ihn der Schweiß. Er schob es auf die langsam wieder
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