Maedchenauge
Täters. Dadurch hat sich der Mörder eher noch bestätigt gefühlt, im Besitz von elitärem Geheimwissen zu sein, das Normalsterblichen nicht zumutbar ist. Das hat ihm die Genugtuung gebracht, auf die er womöglich scharf ist.«
Lily nickte nachdenklich. »Wer weiß also von diesen Details?«
»Nur mein Team und ich wissen, dass der Täter die Augen von Sabine Foltinek ausgestochen hat. Und dass sie mit diesen ausgestochenen Augen mindestens vierundzwanzig Stunden auf dem Balkon im Liegestuhl gelegen ist. Das Gleiche gilt für den Fall Back, wo die Leiche allerdings in der Wohnung gefunden worden ist. So wie auch jetzt wieder.«
»Interessant, dass sonst keinem Hausbewohner irgendetwas aufgefallen ist und auch niemand den Tathergang bemerkt hat«, sagte Lily.
Belonoz sah sie konzentriert an. »Sie haben die Akten also noch nicht studiert?«
Für einen Moment wurde es still im Raum, man hörte nur das Rauschen des Autoverkehrs, das durch die geöffneten Fenster drang.
»Leider nein«, sagte Lily leise. »Ich bin gerade erst … Aber wieso wissen Sie, dass ich …?«
»Sie hätten diese Frage sonst nicht gestellt.«
»Tut mir leid, aber zum eingehenden Studium der Akten hat mir bisher einfach die Zeit gefehlt. Es ist vierundzwanzig Stunden her, dass ich diese Aufgabe übernommen habe, also …«
»Vergessen Sie’s«, unterbrach Belonoz die Staatsanwältin mit maliziöser Gelassenheit. »Mich interessiert momentan was ganz anderes. Ich habe gehört, dass Sie sich in den letzten Wochen und Monaten im Ausland aufgehalten haben. Wie viel oder wenig haben Sie von der Mordserie insgesamt mitbekommen?«
Lily zögerte kurz, sie vermutete eine Fangfrage. »Offen gesagt, so gut wie gar nichts.«
»Das ist sehr gut.«
»Was meinen Sie damit?«
»Weil Sie dann nicht so voreingenommen an die Sache herangehen werden. Sondern irgendwie unbelastet.«
»Und das finden Sie gut?«
»Vielleicht«, sagte Belonoz kryptisch. »Während der vergangenen Monate hat sich in Wien ein Klima der Hysterie entwickelt. Es wird gestritten, wie sicher die Stadt ist. Oder wie unsicher. Sogar eine Bürgerinitiative wurde gegründet, die Druck auf die Politik macht. Daraufhin hat die Vizebürgermeisterin Lohner ihrerseits eine Kampagne ins Leben gerufen, die zeigen soll, dass Wien eine sichere Stadt ist. Typisches Polit-Hickhack also. Um Fakten geht es da längst nicht mehr. Sondern nur noch um plakative Emotionen.«
»Ich glaube, davon habe ich gehört.«
»Das alles ist natürlich in Zusammenhang mit den Wahlen im nächsten Jahr zu sehen. Ursprünglich waren die ja schon für den kommenden Herbst geplant. Angesichts der Lage hat man es beim Termin im Frühling belassen.«
»Und wie wirkt sich das auf unseren Fall aus?«, fragte Lily.
»Ein Serienmörder, der in Wien sein Unwesen treibt, hat gerade noch gefehlt. Der Fall wird als politische Munition benutzt. Wer immer sich damit beschäftigt, gerät zwischen die Fronten. Was denken Sie, wie oft sich bei mir schon der Polizeipräsident gemeldet hat, um sich nach dem Fortgang der Ermittlungen zu erkundigen?«
»Tut er das?«
»Praktisch jede Woche. Und hinter dem Polizeipräsidenten steht der Bürgermeister. Außerdem hat mich der Innenminister angerufen. Was mir noch nie zuvor passiert ist. Deshalb sind Sie im Vorteil.«
»Warum?«
»Weil Sie viel unabhängiger sind. Falls Sie das sein wollen. Und weil Sie einen frischen Blick auf die Sache einbringen. Und vielleicht den Ermittlungen neuen Schwung verleihen werden. Jedenfalls wünsche ich mir das von Ihnen. Um nicht zu sagen, ich erwarte mir das.«
Belonoz’ Offenheit überraschte Lily. Und seine Herangehensweise erstaunte sie. Noch nie hatte ein Kriminalbeamter ihr mitgeteilt, wie er sich die Zusammenarbeit vorstellte. Auch Lilys Kollegen hatten nichts Vergleichbares berichtet. Gewöhnlich sahen Staatsanwälte in der Kriminalpolizei nichts weiter als eine Hilfskraft, die aufgrund genauer Instruktionen Informationen beschaffte und Fakten recherchierte. Umgekehrt empfanden die Polizisten die Staatsanwälte vielfach als abgehobene, theoretisierende Kontrollinstanzen, deren Interesse ausschließlich auf das Gewinnen von Prozessen gerichtet war.
Mit seinen ungepflegten, auf den Sakkokragen fallenden Haaren sah Belonoz nicht bloß anders aus als seine Kollegen. Er war auch anders. Unverblümt sprach er an, was ihn störte. Instinktiv spürte Lily, dass Belonoz ein Außenseiter war. Oder dazu gemacht worden war. Das war einer, mit dem
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