Maedchenauge
Horvath einzuknicken. Etwas war angesprochen worden, das ihn zutiefst berührte.
»Die Wohnung hat meiner Mutter gehört«, sagte er leise. »Ich habe sie geerbt, nach dem Tod … Und die Erbschaft macht es mir möglich, dass … dass ich mir die Arbeit aussuchen kann. Ich bin sehr flexibel.«
Also jemand, der vom Erbe lebt, dachte Lily, und ansonsten sehr einsam ist.
»Herr Horvath, wie intensiv haben Sie Magdalena Karner wirklich beobachtet? Was wissen Sie über sie? Und was haben Sie zum Zeitpunkt des Mordes getan?«
Da erhob sich Rechtsanwalt Sima.
»So, Frau Kollegin«, unterbrach er, »nun ist der Zeitpunkt gekommen, wo ich mit meinem Mandanten ein paar Worte wechseln muss.«
Lily hatte das längst erwartet. Sie hatte geahnt, dass der frisch hereingeschneite Sima nur hatte sehen wollen, worauf die Sache hinauslaufen würde.
»Gut«, sagte Lily. »Rufen Sie mich, wenn Sie Ihre Unterredung beendet haben.«
Sie bedeutete Kovacs, die Videokamera auszuschalten, und verließ den Raum.
Auf dem menschenleeren, von Leuchtstofflampen hellbläulich beleuchteten Korridor holte sie ihr Handy hervor und wählte die Nummer von Belonoz. So kühl und distanziert der Chef der Mordkommission auch sein mochte, in dieser Situation war er ihr einziger Verbündeter. Er verkörperte ein Stück unbeugsamer Normalität in dem rätselhaften Irrsinn dieses Falles. Deshalb sehnte sie sich plötzlich nach ihm. Nur deshalb.
*
Das Gespräch zwischen Anwalt und Mandanten dauerte zwanzig Minuten. Georg Sima stellte wenige, präzise Fragen, auf die Horvath ausführlich antwortete.
»Na wunderbar«, meinte der Anwalt schließlich, »dann ist die Sache klar. Sie können alles beantworten, was die Staatsanwältin Sie fragt. Wir bieten die Zusammenarbeit an. Das wird Ihnen Vorteile bringen. Bei einer Morduntersuchung ist das immer gut.«
»Aber«, wandte Horvath schüchtern ein, »was ist mit der Sache, die … ich Ihnen gerade erzählt habe. Die macht mir wirklich Sorgen. Das könnte böse für mich enden. Als ich das gemacht habe, war mir … Also die Tragweite habe ich nicht erkannt. Ich habe die ganze Zeit Angst gehabt, dass ich mich verplaudere. Dass ich mich in Widersprüche verwickle. So heißt es doch immer in den Zeitungen, wenn es um Verdächtige geht …«
»Unsinn«, sagte Sima in der Art eines strengen Vaters. »Das können Sie für den Moment vergessen. Zuerst müssen wir sehen, was die Staatsanwältin überhaupt weiß. Zum geeigneten Zeitpunkt werden wir damit herausrücken. Falls es notwendig wird und für uns nützlich ist. Vorher sicher nicht.«
Sima erhob sich und ging zur Tür, wo er sich noch einmal jenem Häuflein Elend zuwandte, das sein Mandant war.
»Bleiben Sie ruhig. Überlegen Sie immer, was Sie sagen. Antworten Sie nicht sofort, sondern lassen Sie sich Zeit. Das wirkt außerdem authentisch. Haben Sie mich verstanden? Und erzählen Sie, was wir vereinbart haben. Erzählen Sie von dem Mann im schwarzen Leder.«
Der Anwalt öffnete die Tür und trat auf den Korridor. Lily erwartete ihn bereits.
»Frau Kollegin, wir können weitermachen. Natürlich nur, wenn Sie wollen.«
11
Was für ein schöner Abend, überlegte der Bürgermeister.
Es widerte Stotz an, diesen Abend an Arbeit zu verschwenden.
Die Wärme des vergangenen Tages lag über Wien. Sie verlockte dazu, in einem Schanigarten oder im Innenhof eines Heurigen beim Wein zu sitzen. Stotz war jedoch bewusst, dass ihm keine andere Möglichkeit offenstand. Außerdem schien ihm, als hätte sich die Atmosphäre in der Stadt verändert.
Er spürte sich ausbreitendes Misstrauen und lauernde Angst. Selten noch hatte sich jener Instinkt getäuscht, der ihm mehr als einmal das Überleben im politischen Intrigenspiel erlaubt hatte.
Zudem bereitete ihm das warme Wetter weniger Vergnügen als früher. Er fühlte sich rascher müde und litt stärker unter hohen Temperaturen. Oder bildete er sich das nur ein? Im vergangenen Winter war ihm aufgefallen, dass er mehr als einst zu durchgeschwitzten Hemden neigte.
Vielleicht mutete er sich zu viel zu. Die ihm auferlegten Termine kamen ihm mühsamer vor. Der Empfang für die Künstler der Wiener Festwochen, den er gerade hinter sich gebracht hatte, war ihm früher wie ein einziger feuchtfröhlicher Spaß vorgekommen. In aller Öffentlichkeit hatte er gut essen und ausgiebig trinken können. Diesmal hingegen waren seine Gedanken abgelenkt gewesen.
Er musste dringend handeln. Stotz fuhr in sein privates Zweitbüro und
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