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Maedchenauge

Maedchenauge

Titel: Maedchenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian David
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keine Lust, als alter Macho dazustehen. Bei der nächsten Wahl will ich wieder die Mehrheit haben. Da brauche ich Marina Lohner.«
    Schegula erweckte plötzlich den Eindruck, äußerst verstimmt zu sein. Es schien, als hätte man ihm einen Tritt ins Gesicht verpasst. »Ich verstehe … na dann …«
    »Ich weiß schon, Michael, du machst dir Sorgen … aber da hat sich nichts geändert. Du wirst mein Vizebürgermeister. Nur Geduld. Spätestens nach der Wahl. Dann wird es Veränderungen geben. Nach der Machiavelli-Methode. Marina Lohner wird sich noch wundern. Aber zuerst soll sie mir ein bisschen nützlich sein.«
    Stotz machte eine kurze Pause. »Übrigens möchte ich, dass du morgen nicht zu der Pressekonferenz kommst. Ich gehe auch nicht hin. Zuerst wird der Stadtrat schöne Worte zum Besten geben, und dann wird er von den Journalisten gegrillt werden. Wegen der Pratorama -Sache. Dafür ist er ja zuständig.«
    »Unangenehm«, sagte Schegula knapp und emotionslos.
    »Sollte andererseits der Mörder wirklich gefunden sein, wird sich das Interesse ohnehin darauf verlagern. Pratorama wird aus den Schlagzeilen verschwinden. Zumindest vorübergehend. Die Sicherheit von Leib und Leben ist den Menschen um einiges wichtiger als irgendein komplizierter Bauskandal.«
    Stotz erhob sich und ging zu einem Wandschrank, aus dem er zwei Gläser und eine Flasche Rotwein holte. »Ein hervorragender Zweigelt aus dem Burgenland, Michael. Der wird dich darüber hinwegtrösten, dass du auf den Vizebürgermeister noch warten musst.«
    Großzügig schenkte der Bürgermeister ein, nachdem er die Flasche mit geübten Griffen entkorkt hatte. Sie stießen an.
    »Auf dich, auf meinen künftigen Vize«, sagte Stotz. »Und auf die Lösung des anderen Problems. Staatsanwalt Seiler ist mir viel zu aktiv. Den muss man endlich einbremsen. Ganz radikal.«
    *
    Achtundvierzig Stunden hatte der Tag gedauert. So fühlte es sich für Lily an.
    Dinge, die sie nie oder zumindest anders erwartet hatte, waren auf sie zugekommen. Zuerst war sie nicht in die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft versetzt worden. Stattdessen hatte Lenz sie an die Spitze einer Morduntersuchung berufen. Um den meistbeachteten Kriminalfall Österreichs sollte sie sich ab sofort kümmern. Aus der noch am Freitag erlittenen New Yorker Isolation und Anonymität war sie an diesem Montag ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit katapultiert worden. Die Anfragen von Journalisten häuften sich bei ihrer Sekretärin und wurden umso intensiver, je weniger sie darauf reagierte. Die Morde hatten sie mit jungen Mädchen konfrontiert, die plötzlich und brutal zu Tode gekommen waren. Und mit der gestörten Psyche eines Mörders, der aus dem Dunkel heraus zuschlug und dabei kein Erbarmen zeigte.
    Über all dem hatte Lily total vergessen, was sie in den vergangenen Wochen belastet hatte. Das Private, also der Fehlschlag. Die Enttäuschung. All das war plötzlich nicht mehr so wichtig. Oder nein, wichtig schon, aber etwas weniger im Vordergrund.
    Lily brannte darauf, darüber sprechen und das Erlebte loszuwerden. Mit Albine, mit Onkel Neubauer. Ihnen sagen zu können, wie gut es tat, abgelenkt zu werden. Und zugleich durch das Gespräch Vorsorge zu treffen, damit nicht das vorübergehend Verdrängte wieder störend ihr Gefühlsleben bestimmen würde.
    Ihr war bewusst, dass sie sich davor fürchtete. Dass sie beinahe hoffte, die Morduntersuchung möge noch lange weitergehen und sie von unnützen, selbstquälerischen Gedanken abhalten. Zugleich ermahnte sie sich, ihr privates Glück nicht durch das Unglück anderer erkaufen zu wollen. Ihr Gerechtigkeitsgefühl hatte sie nicht verlassen.
    Doch alles deutete ohnehin darauf hin, dass die große Klärung bevorstand. Kurz nach dreiundzwanzig Uhr hatte Belonoz sie angerufen und vorgeschlagen, den Stand der Dinge bei einem späten Abendessen zu besprechen. Er sei schon sehr hungrig, hatte er gesagt. Also hatten sie sich in einem Wirtshaus in der Schlickgasse verabredet, unweit der Kriminaldirektion.
    Belonoz stürzte sich zuerst auf die Frittatensuppe, danach auf den Zwiebelrostbraten. Bei Lily war es anders. Die Fülle an Erlebnissen hatte jeglichen Appetit vertrieben. Schon seit Stunden, und Lily wusste, dass das nicht normal war. Also ließ sie sich Palatschinken mit Marillenmarmelade kommen, denn Süßes war ihr stets willkommen. Dazu hatten beide weißen Gespritzten gewählt.
    Belonoz sah müde aus. Seine Haare wirkten noch strähniger als

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