Maedchenauge
zugleich auch Stotz treffen.
Das wäre eine Möglichkeit, dachte Marina Lohner und ging zurück in ihr Schlafzimmer.
Sie schmiegte sich in ihr Bett, warf aber trotzdem einen Blick auf den Kopfpolster neben ihr, der in dieser Nacht unberührt bleiben würde.
Mittwoch, 16. Juni
12
Sebastian Emberger. War er es gewesen? War das die Lösung des Rätsels und der Albtraum zu Ende?
Lily Horn hatte sich von diesen Gedanken nicht zu lösen vermocht. Und der Vorname Sebastian hatte sie an Skulpturen denken lassen, die einen nackten jungen Mann zeigten, durchbohrt von Pfeilen. Ein Märtyrer.
Um zwei Uhr nachts hatte es Lily gereicht.
So lange war sie am Tatort in der Breiten Gasse geblieben. Müde war sie nicht gewesen, auch zu Hause hatte sie später lange nicht einschlafen können. Dazu hatte der Dienstag zu viele Emotionen erzeugt, zu viel Unruhe und Verunsicherung.
Rund achtundvierzig Stunden nach dem dritten Mord hatte der Mörder erneut zugeschlagen. Als habe er zeigen wollen, dass er das Gesetz des Handelns bestimmte, niemand sonst. Dass er das Tempo beschleunigen und den Druck intensivieren konnte, wie es ihm beliebte.
Belonoz hatte angekündigt, sich telefonisch bei Lily zu melden, falls es erforderlich sein würde. Doch er tat es nicht. Also rief Lily den Major an, kurz nach acht Uhr, bevor sie sich zum Grauen Haus aufmachte. Sie landete auf der Sprachbox.
Dabei hatte sie einen Dialog dringend nötig. Sie brauchte jetzt den Austausch. Der ihr vom Einzelgänger Belonoz verweigert wurde. Beim Abendessen hatte sie ihn als fairen und klugen Partner erlebt. Hoffnungsvoll war da die Stimmung gewesen. Nun lag wieder, mehr als zuvor, Ungewissheit in der Luft. Am Tatort hatte sich Belonoz gereizt und nervös gegeben. Vor allem wortkarg. Etwas musste in ihm gearbeitet haben, das hatte Lily gespürt.
»Denken Sie an irgendetwas Bestimmtes?«, hatte sie ihn gefragt.
»An gar nichts«, war seine Antwort gewesen.
Vom Team des Majors waren Marlene Metka und Emil Kovacs in der Breiten Gasse gewesen. Lily hatte sie als unkomplizierte Menschen empfunden, engagiert und zugleich angenehm unaufgeregt.
In einem schwarzen Hosenanzug traf Lily um neun Uhr in der Staatsanwaltschaft ein. Die neugierigen Blicke ignorierte sie. Und zwei Journalisten, die sie ansprachen, wies sie ab.
»Wir stecken mitten in der Arbeit«, sagte sie ihnen. »Später gibt es mehr, haben Sie etwas Geduld.«
Natürlich war es lächerlich, in dieser Situation, nach dem vierten Mord, ausgerechnet Geduld einzufordern oder gar zu erwarten. Aber im Augenblick war Lily nichts Besseres eingefallen. Dabei war ihr bewusst geworden, dass man nicht so passiv weitermachen durfte. Die öffentliche Meinung sollte nicht allein den Medien überlassen werden. Hier musste man mit Belonoz und dessen Team kooperieren.
Marlene Metka hatte um sechs Uhr früh eine kurze Mail geschickt, mit ein paar dürren Fakten zum neuen Mord und zum Opfer. Lily hatte die Lektüre gerade beendet, als ihr Handy läutete.
»Können Sie zu uns kommen?«, fragte Belonoz. »Da lernen Sie außerdem meine übrigen Leute persönlich kennen.«
»Wann?«
»So bald wie möglich.«
»Um zehn bin ich bei Ihnen.«
»Danke«, sagte Belonoz und legte auf.
Über die Haupttreppe der Kriminaldirektion stieg Lily hinauf zum Büro des Majors. Das Team war vollzählig, die Stimmung angespannt. Lily schüttelte allen die Hand. Danach lud Belonoz sie ein, neben ihm an seinem Schreibtisch Platz zu nehmen.
»Wir haben einen vierten Mord«, begann Belonoz. »Das ist gar nicht gut. Aber es gibt auch einen Verdächtigen. Der ist mit seinem BMW auf der A1 nahe Wien tödlich verunfallt. Ermittlungen gegen Verstorbene sind nicht vorgesehen. In diesem Fall jedoch wären sie hilfreich. Frau Staatsanwältin?«
Belonoz blickte zu Lily, die sich räusperte.
»Es ist so, wie es Kollege Belonoz geschildert hat«, sagte sie und bemühte sich um einen klaren, selbstbewussten Tonfall. »Aber in diesem Fall liegen besondere Umstände vor. Wir müssen absolut sicher sein, ob die Mordserie abgeschlossen ist oder nicht. Auch die Öffentlichkeit, ganz zu schweigen von den Medien und den Politikern, wird das verlangen. Fehler werden sie uns nicht verzeihen. Falls also Emberger nicht der gesuchte Täter war, gibt es das Risiko weiterer Morde. Als Staatsanwältin autorisiere ich Sie hiermit, Ermittlungen zu Sebastian Emberger anzustellen. Sollte sich jemand darüber beschweren, berufen Sie sich auf mich. Ich übernehme die volle
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