Maedchenauge
Schnittmenge war relativ klein.
Und dann war da noch die Person, die in schwarzes Leder gekleidet war und einen Helm trug. Der Mörder, der aus der Deckung getreten war. Um nur noch mehr Fragen aufzuwerfen.
Lily trank ein weiteres Glas Mineralwasser, dann rieb sie sich die Augen. Belonoz hatte schon recht gehabt. Die Hilfe eines Kriminalpsychologen wäre angebracht. Vielleicht würde der Licht ins Dunkel bringen.
Das Handy läutete.
»Kommen Sie heute noch?«, fragte er.
Lily sah auf die Uhr. Um Himmels willen, es war bereits kurz nach siebzehn Uhr. »Ich bin gleich da!«
Über dem Aktenstudium war die Zeit verflogen. Zusätzlich meldete sich auch noch eine entsetzliche Leere im Magen.
Vor dem Grauen Haus winkte Lily ein Taxi herbei. »Ecke Berggasse/Roßauer Lände, und ich habe es eilig.«
Grantig zog der Fahrer eine Grimasse. »Das ist doch mit dem Auto nur drei Minuten entfernt.«
»Und zu Fuß eine Viertelstunde«, sagte Lily genervt, während sie ihre Sonnenbrille aufsetzte.
*
Spontaneität zählte nicht zu seinen ausgeprägten Eigenschaften. Er liebte die genaue Planung und verabscheute jegliche Improvisation. Deshalb vermied er die Konfrontation mit für ihn überraschenden Situationen. Da war ihm noch nie wirklich viel eingefallen.
Nach außen tat er so, als wäre er ein vor Ideen strotzender Mann der Tat. Seine engsten Mitarbeiter kannten Berti Stotz als jemanden, der sich stets wie ein Schauspieler auf die nächste Szene vorbereitete. Dies verlieh ihm die Selbstsicherheit, die er so gerne demonstrierte.
Jetzt war die Situation wieder einmal viel zu komplex für ihn. Er brauchte dringend Hilfe. Starr vor Angst, wusste Stotz nicht, welchen Schritt er als nächsten tun sollte.
»Ich kenne mich nicht aus«, sagte er wütend. »Ist der Mörder gefasst oder nicht, sind die Morde aufgeklärt, hab ich die Lohner zu Recht verschont oder wie ist das?«
Stotz telefonierte mit seiner Vertrauensperson, die ihm Informationen aus dem Polizeiapparat verschaffte.
Der Informant blieb geschäftsmäßig kühl. »So klar steht das noch nicht fest. Was auch kein Wunder ist. Niemand will in eine Falle tappen und voreilig den Sieg verkünden. Also halten sich alle möglichst bedeckt und warten darauf, dass sich andere hervorwagen.«
»Die sollen gefälligst ihre Arbeit machen. Ich brauche Klarheit. Außerdem …«
»Was?«
»Bonino hat mich gerade angerufen. Von denen kommt noch was. Heute Abend.«
»Angenehmes oder Unangenehmes?«
»Was weiß ich, wie sich das auswirken kann.«
»Brauchst du jemanden, der als Mörder in Frage kommt?«
»Der Mörder ist mir wurscht. Ich bin keine junge Studentin. Und Marina wird ihm zu alt sein, darauf darf man gar nicht erst hoffen. Nein, es muss jetzt eine Lösung her. Und diese Tussi von der Staatsanwaltschaft …
»Ja, die macht sich ganz gut«, sagte der Informant und lachte ironisch.
»Von der habe ich mir was anderes erwartet. Stattdessen führt sie jetzt ein Theater auf, verhaftet irgendwen, macht eine Durchsuchung in Salzburg. Die spinnt ja total. Was glaubt die eigentlich, wer sie ist? Früher haben Staatsanwälte immer schön um Erlaubnis gebeten. Für jeden kleinsten Schritt. Jedenfalls in den heiklen Fällen.«
»Also?«
»Punkt eins ist, dass man die Staatsanwaltschaft in die Schranken weist. Punkt zwei ist Marina. Man muss beiden irgendwas anhängen. Und sie in der Öffentlichkeit bloßstellen.«
»Das geht nicht so schnell.«
»Mach einfach weiter. Und beeil dich. Ich sag dir schon, was zu tun ist.«
»Und die andere Sache?«
»Seiler kommt später dran. Punkt drei, sozusagen.«
*
»Wir sollten mit Emberger anfangen«, sagte Lily um siebzehn Uhr zwölf.
Schnell atmend war sie in den Besprechungsraum geplatzt und glücklich über die Klimaanlage. Belonoz lümmelte müde herum, Steffek sah verschwitzt aus, Bardel malte nervös mit einem Kugelschreiber auf einem Notizblock herum. Metka und Kovacs erinnerten an Zombies, seit den frühen Morgenstunden waren sie auf den Beinen.
»Okay. Edi, du bist gefragt.«
Der Angesprochene warf einen kurzen Blick in seine Unterlagen und fixierte Lily. »Fremdverschulden beim Tod von Sebastian Emberger ist nach derzeitigem Wissensstand auszuschließen.«
»Mit welcher Begründung?«, fragte Lily.
»Es gibt keinen Hinweis darauf, dass ein anderes Fahrzeug involviert war. Kein Defekt beim Motor, bei den Bremsen oder den Reifen. Die Sicht war zum Zeitpunkt des Unfalls durchaus in Ordnung, die Fahrbahn trocken
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