Maedchenauge
versuchten, ihre Verbitterung an nachwachsende Generationen weiterzugeben. Zugleich widerstrebte es ihr, Belonoz in diese Kategorie einzureihen.
»Sind Sie überzeugt, dass da immer etwas faul war?«, fragte sie.
»Wer hätte das denn näher untersuchen sollen? Als Polizist möchte man nicht zum Spinner oder Verschwörungstheoretiker erklärt werden. Und wer zu oft die falschen Fragen stellt, wird versetzt.«
Lily begriff. »Ist das Ihnen passiert?«
»Ich habe nicht nur Fragen gestellt, sondern meinem damaligen Vorgesetzten auch eine unmissverständliche Antwort gegeben. Mit meiner Faust.«
»Wie sollen wir uns also verhalten, Herr Major?«
»Sie haben mir bei unserem ersten Treffen versprochen, dass es anders laufen würde. Also schlage ich vor, dass wir unsere Arbeit erledigen. In alle Richtungen und intensiv. Bis sich ein Erfolg einstellt. Inzwischen können wir den Bestien ein paar Häppchen zum Fressen hinlegen. Damit sie beruhigt sind und glauben, dass wir in ihrem Sinn handeln.«
»Es wird nicht einfach werden«, sagte Lily und seufzte.
Belonoz schaute sie an. Sein Gesichtsausdruck verriet keine Emotion.
*
Wegen der Klimaanlage stellte es beinahe ein Vergnügen dar, sich im Besprechungsraum aufzuhalten.
Lily reichte den Anwesenden jeweils ein paar zusammengeheftete Blätter. Die Kurzfassung ihrer Gespräche mit den Eltern von Magdalena Karner und Selma Jordis. Ursprünglich hatte Lily erwogen, ihre Notizen allen zu mailen. Doch Belonoz hatte ihr abgeraten.
»Falls Ihnen irgendetwas auffällt oder einfällt, dann sagen Sie es bei unserem nächsten Treffen. Frau Metka, haben Sie Ulla Koppel inzwischen noch einmal telefonisch erreicht?«
»Ja, nach zwei Stunden hat sie endlich abgehoben«, sagte Marlene Metka. »Wozu haben die Leute überhaupt ein Mobiltelefon, wenn sie nie …?«
»Was hat sie erzählt?«
»Die Gesichter auf den Phantombildern hat sie nicht erkannt. Und sie hat nicht gewusst, dass Selma Jordis ihren Eltern nie etwas von Tom und Nicole erzählt hat. Aber sie hat mit Selma auch nicht darüber gesprochen. Und dann habe ich sie noch gefragt, ob Selma vor ihren Eltern gelegentlich Dinge verheimlicht hat. Sie hat gemeint, dass das vorgekommen ist, aber selten.«
»Hat sie das näher erläutert?«
»Ihre Eltern waren sehr besorgt um Selma, haben sich andererseits aber nur für das berufliche Fortkommen der Tochter interessiert. Dass sich Selma auch verliebt oder mit jemandem ins Bett geht, haben sie nie zur Kenntnis nehmen wollen. Für sie war Selma ein asexuelles Wesen. Immer die brave Tochter. Meint jedenfalls die Koppel.«
»Haben Sie ihr die Frage gestellt, um die ich Sie gebeten hatte?«
»Da hat sie gelacht und behauptet, dass ihr das garantiert aufgefallen wäre«, sagte Metka völlig ernst. »Selma Jordis war völlig straight . Genau dieses Wort hat die Koppel benutzt. Straight . Von zeitweise lesbisch oder bisexuell keine Spur.«
Während Nika Bardel und Edi Steffek einander anblickten, dachte Lily für einen Moment nach. » Straight . Wir haben eine junge, begabte, ehrgeizige Studentin. Die praktisch keine nachweisbaren Beziehungen mit Männern hat und nicht lesbisch ist. Dann treten Nicole und Tom in ihr Leben. Den Eltern erzählt sie nichts davon, der besten Freundin ebenfalls wenig. Zwischen den beiden Freundinnen gibt es exakt zu diesem Zeitpunkt eine Pause in der Kommunikation, die von Selma nicht begründet wird. Wir wissen aber, dass sie von diesem Tom sehr angetan war. Und dass da irgendein großes Problem ist, das Selma lösen möchte. Sie selbst spricht von einem Hindernis . Zuletzt ist sie sehr gestresst … Na ja, das klingt relativ logisch. Frau Metka, haben Sie die E-Mails bekommen?«
Metka stand auf und reichte Lily ein paar Seiten. »Nicht besonders ergiebig. Mitschnitte der Telefongespräche wären natürlich großartig gewesen, weil man …«
»Terrorverdacht war aber keiner im Spiel«, sagte Lily und überblickte die E-Mails. »Wenigstens liefert uns das eine zeitliche Linie. Anfang März sind sie vergleichsweise ausführlich. Da findet die Kommunikation alle zwei, drei Tage statt, manchmal sogar täglich … Ende März werden sie sichtlich kürzer … Von da an werden offenbar nur noch sporadisch Mails geschickt.«
»Wie gesagt, seit Anfang Mai haben sie zumindest wieder telefoniert, sagt die Koppel. Gemailt hat Selma Jordis lediglich, wenn sie vergeblich angerufen hat.«
»Da war sie wieder aktiv an einem Kontakt interessiert … Was ist übrigens
Weitere Kostenlose Bücher