Maedchenfaenger #4
Vorwürfe zu machen, und er würde aufhören, ihr schweigend Vorwürfe zu machen - es wäre vorbei. Sie könnten ihr Leben auf verschiedenen Wegen fortsetzen und hätten nicht mal ein Kind, das sie verband und sie bei zukünftigen Abschlussfeiern oder Hochzeiten wieder zusammenführte. Sie würde sich einfach verkriechen können und in Selbstmitleid baden, bis ihr Leben endlich vorbei war. Doch das Warten darauf - bis die Affäre endlich herauskam, sie ihn zur Rede stellte, zusah, wie ihre Ehe endete, wie er auszog und mit einer anderen neu anfing -, nun, das Warten war schlicht zu anstrengend. Sie wünschte, das Unausweichliche würde endlich passieren.
Also war es zweifellos naiv von ihr, zu glauben, ein paar gemeinsame Nächte könnten die riesige emotionale Kluft schließen, die sich zwischen ihnen aufgetan hatte, ganz gleich, wie zärtlich oder wie toll der Sex war oder wie sehr sie sich danach sehnte. Ganz gleich, wie nahe sie einander ein paar Tage lang waren oder wie vertraut es sich angefühlt hatte - wie in der «alten Zeit», als alles noch gut war und die Leute sie glücklich nannten. Sie hatte einen Fehler gemacht, als sie ihn all die Monate auf Distanz hielt, das wusste sie jetzt, und jetzt war sie endlich bereit, nach vorn zu blicken. Sie war bereit, zu ihm zurückzukehren. Aber konnte sie erwarten, dass er noch auf sie wartete? Die Wahrheit war: nein. Ein Jahr war eine lange Zeit.
In gewisser Weise waren die letzten Tage noch schlimmer als die vorausgegangenen elf Monate gewesen: Die Kluft war plötzlich ein Abgrund, nur dass es diesmal Bobby war, der sich zurückzog. Als mitten in der Nacht das Telefon klingelte und er untypischerweise nicht abnahm, hatte sie mit klopfendem Herzen neben ihm gelegen und gedacht: «Das ist es. So also werde ich drauf gestoßen. Und auch wenn ich dachte, ich will es so, es stimmt nicht. Ich bin nicht bereit zuzusehen, wie alles, was ich hatte, zugrunde geht. Und am Ende mir selbst die Schuld zu geben. Ich bin nicht bereit, ihn gehen zu lassen ...»
Sie hatte so getan, als schliefe sie, lag einfach nur da und wartete darauf, dass er nach unten schlich, um die geheimnisvolle Anruferin zurückzurufen, während sie sich fragte, was sie dann tun sollte. Einen Privatdetektiv anheuern? Von seinem Handy die Nummer abschreiben und die Frau selbst zurückrufen und zur Rede stellen? Doch auch Bobby rührte sich nicht. Sie hörte, wie sein Herz schneller schlug, spürte seine Anspannung. Erst als er im dunklen Schlafzimmer die Nachricht abhörte, das panische Flüstern des Reporters am anderen Ende, wusste sie, dass es keine andere Frau war, an die sie ihren Mann verloren hatte - es war der Fall. Der Fall, der ihn seit der Sekunde, als er ihn angenom men hatte, auffraß. Er ging ihm zu nah. Ihnen beiden. Er war zu nah an Katy.
Bobby war weggegangen, und sie hatte die ganze Nacht auf ihn gewartet, während sie versuchte, die furchtbaren Gedanken zu vertreiben, die unwidersprochen durch ihren Kopf rasten, doch als er endlich nach Hause kam, kam er nicht zu ihr herauf. Sie wusste, dass es einen Grund dafür gab, aber sie war sich nicht sicher, ob sie ihn erfahren wollte, und so blieb sie oben und wartete weiter. Wartete, dass er kam. Wartete, dass er ging. Wartete, dass der Tag, der gerade erst begann, endlich vorbei sein würde.
Sie hatten nicht darüber gesprochen, welcher Tag heute war - es hing kein Zettel am Kühlschrank, der sie an die Bedeutung des Datums erinnerte. Sie brauchten natürlich keine Erinnerung an den zwanzigsten November, von dem LuAnn nie erwartet hatte, dass er sich jähren würde. Ein Thanksgiving-Fest, Weihnachten oder Muttertag, die sie sich nie hatte vorstellen können. Ein Jubiläum. Bei Paaren und Jobs und Tragödien ein Tag, der feierlich begangen wurde. Ein Jahr schon? Schau mal an. Es ging weniger um die 365 Tage, die vergangen waren, als darum, dass ein Ereignis als historische Wende in die Geschichte einging - und zum Gedenktag wurde. Doch LuAnn wollte keinen Gedanken daran verschwenden. Sie hatte sich freiwillig zur Doppelschicht gemeldet, bevor die Gehirnerschütterung sie von der Arbeit abhielt, seit fast einer Woche.
Sie konnte sich kaum vorstellen, wie schwer der Tag für Bobby sein musste. Wie ein Feuerwehrmann, der am elften September zu einem Brand in einem Hochhaus in Manhattan gerufen wurde, musste er sich um einen Notfall kümmern, während die Welt Mahnwachen hielt und in seinem Kopf die Schreie der gefallenen
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