Maedchenfaenger #4
Notaufnahme gerollt wurde, begleitet von zwei Dutzend schockierten NYPD-Beamten. Es war Schicksal, dass LuAnn eine Doppelschicht hatte, es war Schicksal, dass heftiger Sturm und Regen über die Stadt zogen, sodass sie nicht zum Rauchen hinausgehen konnte, und es war Schicksal, dass ihr zukünftiger Ehemann zu ihr in den Schockraum geschickt wurde. LuAnn hatte nicht damit gerechnet, ihrer ersten großen Liebe auf einer Trage zu begegnen, voller Blut, die Oberarmarterie von der Kugel eines Drogendealers zerfetzt. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihm das Leben retten müsste. Aber vielleicht lag es genau daran - dass etwas so Mächtiges und Wundervolles geschehen war, weil sie an einem stürmischen Tag eine Doppelschicht in der Hölle hatte —, dass LuAnn seitdem all die Möglichkeiten ziehen ließ, sich auf eine andere, weniger anstrengende Station versetzen zu lassen.
Heute war sie dankbarer als je zuvor, in der Notaufnahme zu arbeiten. Der extreme Stress in dem chaotischen Traumazentrum, dreißig Minuten von der Innenstadt von Miami entfernt, bedeutete eine willkommene Ablenkung vom Rest ihres Lebens. Und so egoistisch es klingen mochte, wenn sie es aussprechen würde - zurzeit hatte sie das dringende Bedürfnis, unter Menschen zu sein, deren Leben noch fürchterlicher war als ihr eigenes.
Also arbeitete sie, so viel sie konnte, meldete sich freiwillig für Doppelschichten und Feiertage - und ertränkte ihren Kummer in emotional anstrengender Arbeit, wie ein Alkoholiker seine Sorgen im Schnaps ertränkte. Und am nächsten Morgen hatte sie, genau wie ein Trinker, ein schlechtes Gewissen. Als hätte sie wieder alle hängenlassen. Ihre Tochter war aus dem Zuhause davongelaufen, das sie ihr geschaffen hatte, und sie suchte nicht in jeder Sekunde ihres Lebens nach ihr, wie ihr Mann es tat. Stattdessen arbeitete sie, wieder einmal Doppelschicht. Die Wahrheit war, LuAnn konnte es einfach nicht - das tun, was Bobby tat. Im Gegenteil, sie versuchte alles, um sich von den Gedanken an Katy abzulenken, auch wenn sie es vor Bobby nie zugeben würde. Denn schon der Gedanke an ihr einziges Kind, ihre kleine Tochter, die bei den Cheerleadern war und Tierärztin werden wollte, die Frage, unter welcher Brücke sie diesmal schlief, welchen Mist sie sich in den Arm schoss, welche furchtbaren Dinge sie für Geld tat - all das war einfach zu schmerzhaft. Und so verdrängte sie den Gedanken. Und lud sich mit dem schlechten Gewissen eines Säufers auf dem Weg zur nächsten Bar weitere Sonderschichten auf, um sich um die Dramen fremder Leute zu kümmern.
Sie warf die Latexhandschuhe und den blutverschmierten Kittel in die Tonne für Sonderabfall, trank ihren kalten Kaffee aus und trat hinaus in den überfüllten Warteraum. «Elbe Sanchez?», rief sie. Im hinteren Teil des Raums stand eine gebrechlich wirkende ältere Frau auf und machte sich mit einer Gehhilfe auf den Weg zu ihr. Auf dem Fernseher unter der Decke, der gewöhnlich Gerichts- oder Arztserien oder Talkshows zeigte, liefen die Nachrichten. LuAnn hätte nie zweimal hingesehen, doch diesmal erkannte sie den Reporter von neulich, über den Bobby sich so aufgeregt hatte. Feiding hieß er. Mark Feiding. Er hatte über das vermisste Mädchen aus Coral Springs berichtet.
«Es gibt noch keine offizielle Bestätigung, aber wie ich bereits gesagt hatte, Sue, befinden wir uns mitten in einer laufenden Ermittlung. Das FDLE ist vor Ort. Schon den ganzen Tag. Sie geben zwar keine neuen Einzelheiten heraus, doch es sieht ganz danach aus, dass es sich um die beiden vermissten Schwestern aus Florida City handelt. Die schlimmste Befürchtung ist: Haben wir es mit einem Serienmörder zu tun? Natürlich will die Polizei jede Panik vermeiden - ganz Miami erinnert sich mit Schrecken an die Cupido-Morde vor ein paar Jahren. Keiner will wieder solche Publicity für die Stadt, doch die grausamen Porträts, drei Leichen und zahlreiche vermisste Teenager - keiner kann ignorieren, wonach die Sache auszusehen beginnt.»
«Ich bin Elbe Sanchez», sagte die kleine Frau.
«Läuft hier ein Serienmörder frei herum ...», fuhr Feiding fort, indem er eine Handvoll Steckbriefe vermisster Teenager hochhielt.
Der Raum begann sich zu drehen. Langsam zuerst, dann schneller.
«... der es auf Teenager abgesehen hat, besser gesagt, auf Teenager, die von zu Hause ausgerissen sind?» Immer schneller.
«Und wenn ja, wie viele Opfer hält dieser Picasso
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