Maedchengrab
hättest sie zu schnell abgebügelt.«
»Verzeih mir, wenn ich um halb neun Uhr morgens nicht immer die reine Liebenswürdigkeit bin.«
»Aber hast du sie angehört?«
»Natürlich.«
»Und?«
»Und was?«
Rebus ließ die Stille einen Augenblick in der Luft hängen. Draußen auf dem Gehweg eilten Menschen vorbei. Er war davon überzeugt, dass jeder von ihnen eine eigene Geschichte zu erzählen hatte, aber einen verständnisvollen Zuhörer zu finden war nicht immer einfach.
»Also, wie steht’s mit den Ermittlungen?«, fragte er schließlich.
» Welchen?«
»Im Fall des vermissten Mädchens. Ich dachte, darüber hat sie mit dir gesprochen.«
»Sie hat am Empfang angegeben, sie habe Informationen.« Clarke griff in ihre Jacke und zog ein Notizbuch hervor, blätterte es auf der entsprechenden Seite auf. »Sally Hazlitt«, las sie, »Brigid Young, Zoe Beddows. Aviemore, Strathpeffer, Auchterarder, 1999, 2002, 2008.« Sie klappte das Buch wieder zu. »Du weißt genauso gut wie ich, dass das verdammt dünn ist.«
»Anders als die Schale der Kartoffel da«, erwiderte Rebus. »Und ja, ich gebe dir recht, das ist verdammt dünn – erst mal jedenfalls. Also erzähl mir von dem jüngsten Neuzugang.«
Clarke schüttelte den Kopf. »Nicht wenn du so darüber denkst.«
»Na gut, nicht ›Neuzugang‹, sondern Vermisste.«
»Sie ist seit drei Tagen verschwunden, was bedeutet, dass immer noch die Möglichkeit besteht, dass sie einfach nach Hause spaziert und sich wundert, was die ganze Aufregung soll.« Clarke stand auf und ging zum Tresen, kehrte nur wenige Augenblicke später mit einer Frühausgabe der Evening News zurück. Das Foto war auf Seite fünf. Es zeigte ein mürrisch dreinblickendes Mädchen von fünfzehn Jahren mit langen schwarzen Haaren und einem Pony, der ihr in die Augen hing.
»Annette McKie«, fuhr Clarke fort, »von ihren Freunden ›Zelda‹ genannt – nach dem Computerspiel.« Sie sah das Gesicht, das Rebus machte. »Heutzutage spielen die Leute Computerspiele; man muss nicht mehr ins Pub gehen und Geld in eine Maschine stecken.«
»Gemein warst du schon immer«, nuschelte er und widmete sich wieder der Lektüre.
»Sie hat den Bus nach Inverness genommen, wollte auf eine Party«, fuhr Clarke fort. »Sie hatte jemanden online kennengelernt, der sie eingeladen hat. Wir haben das überprüft, es kommt hin. Dann hat sie dem Fahrer gesagt, ihr sei schlecht, also hat er an einer Tankstelle in Pitlochry gehalten und sie aussteigen lassen. Zwei Stunden später wäre der nächste Bus gekommen, aber sie meinte zum Fahrer, sie wolle trampen.«
»In Inverness ist sie nie angekommen«, sagte Rebus und betrachtete erneut das Foto. Trotzig: War das die richtige Umschreibung? Das Foto wirkte gestellt, als kopierte das Mädchen einen Look und einen Stil, die ihr eigentlich fremd waren. » Wie sieht’s mit dem Familienleben aus?«, fragte er.
»Nicht besonders rosig. Sie hat die Schule geschwänzt, Drogen genommen. Die Eltern haben sich getrennt. Der Vater lebt in Australien, die Mutter mit Annettes drei Brüdern in Lochend.«
Rebus kannte Lochend: alles andere als ein schönes Viertel, aber die Adresse in Edinburgh erklärte, warum Clarke damit zu tun hatte. Er beendete die Lektüre des Artikels, ließ die Zeitung aber aufgeschlagen auf dem Tisch liegen. »Nichts auf ihrem Handy?«
»Nur ein Foto, das sie einem Bekannten geschickt hat.«
» Was für ein Foto?«
»Hügel … Felder. Wahrscheinlich am Stadtrand von Pitlochry aufgenommen.« Clarke starrte ihn an.
»Du kannst hier wirklich nichts tun, John«, sagte sie und klang sogar verständnisvoll.
» Wer hat denn gesagt, dass ich das will?«
»Du vergisst, wie gut ich dich kenne.«
»Vielleicht hab ich mich ja verändert.«
»Vielleicht. Aber dann müsstest du erst mal das Gerücht aus der Welt schaffen, das mir zu Ohren gekommen ist.«
» Welches Gerücht?«
»Dass du dich um die Wiederaufnahme in den Dienst beworben hast.«
Er starrte sie an. » Wer will schon ein altes Wrack wie mich?«
»Gute Frage.« Sie schob den Teller von sich weg. »Ich muss zurück.«
»Bist du nicht beeindruckt?«
» Wovon?«
»Dass ich dich nicht gleich auf dem Weg hierher ins erste Pub gezerrt habe.«
»Zufällig sind wir an gar keinem Pub vorbeigekommen.«
»Dann wird’s daran liegen«, sagte Rebus und nickte vor sich hin.
Wieder am Gayfield Square schloss er den Saab auf und wollte ihr das Schild zurückgeben.
»Behalt’s ruhig«, sagte sie. »Kannst
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