Maedchengrab
geflüchtet, die Tür stand offen, damit sie nichts vom Geschehen verpassten. Raymond – Dempseys Neffe – saß in seinem eigenen Wagen, einem weißen Polo. Er nickte Rebus durch die heruntergelassene Scheibe zu, als der Audi die Absperrung passierte und bergauf fuhr, Sturzbäche aus Regenwasser auf beiden Seiten. Der Container war offen und bot denen, die Pause machten, Zuflucht. Mitarbeiter der Spurensicherung hielten sich an Bechern mit Instantsuppe fest, um sich aufzuwärmen. Page beschloss, den Hang weiter hinauf bis zum Fundort zu gehen. Clarke drehte sich um und sah, dass Rebus ganz zufrieden wirkte und ihr Zeichen machte, ihrem Chef zu folgen. In dem Container war gerade noch genug Platz für Rebus. Zwei Mitarbeiter der Spurensicherung warteten darauf, dass der Wasserkocher endlich blubberte, und hielten ihre Becher bereit. Wasserflaschen; leere Instantsuppenbeutel. Keine Spur mehr von den Beweismitteln vom Vorabend – wahrscheinlich hatten die Laborleute sie mitgenommen.
»Nicht gerade der ideale Tag für so was«, sagte Rebus zu niemand Bestimmtem. »Und von dem Heizofen, der uns versprochen wurde, auch keine Spur.« Dann: »Sind jetzt alle Leichen weg?«
Bejahendes Nicken.
»Immer noch nur die fünf?«
»›Nur‹?«
»Ich denke, wir können froh sein, dass es nicht viel mehr sind.«
»Die haben den Hund noch mal für eine letzte Runde geholt«, sagte einer von der Spurensicherung.
»Irgendwelche Gegenstände in den Gräbern?«, fragte Rebus, bemüht, möglichst unverbindlich zu klingen.
»Verzeihung – wer sind Sie noch mal?«
»Ich gehöre zu dem Team, das im Fall Annette McKie ermittelt. Ich war hier, als Ruby die erste Leiche gefunden hat.«
Das schien allen zu genügen. »Keine Gegenstände«, bekam er mitgeteilt. »Keine Kleidung, kein Schmuck, nichts.«
»Und eine Leiche ist neueren Datums?«
Es wurde genickt.
»Müsste relativ leicht zu identifizieren sein«, räumte einer ein.
»Die anderen nicht?«
»Vielleicht über zahnärztliche Unterlagen. Oder einen DNA -Abgleich. Wollen Sie Suppe?«
Das Angebot verriet Rebus, dass man ihn endgültig akzeptiert hatte. »Gerne«, sagte er, obwohl er noch vom Frühstück satt war.
»Er schnappt sie sich auf der A9«, sagte ein anderer, »dann begräbt er sie hier und schickt ein Foto – es muss ein Einheimischer sein.«
»Oder jemand, der einfach nur die Straße gut kennt«, wandte Rebus ein. »Irgendwelche Reifenspuren da oben?«
»Bislang nichts Brauchbares.«
»Ist aber erst ungefähr drei Wochen her, seit er das letzte Mal hier war.«
»Kann Bodenfrost gegeben haben – in der Nacht, in der die kleine McKie verschwand, fielen die Temperaturen unter null.«
Rebus nickte. »Sie suchen weiter?«
»Bis wir nach Hause geschickt werden.«
»Vielleicht wurden Kleidung und persönliche Gegenstände ja separat vergraben.«
» Wir kommen später noch mal mit einem Metalldetektor, außerdem vielleicht auch mit einem Geophysiker.« Der Blick des Mannes war direkt auf Rebus gerichtet, er schien nur darauf zu warten, dass dieser den enormen Aufwand hinterfragte. Stattdessen aber pustete Rebus, damit die Suppe schneller abkühlte. Nie hatten ihn gefriergetrocknete Erbsen und Karotten so sehr fasziniert …
47
Am späten Nachmittag kamen sie erneut im Präsidium der Northern Constabulary in Inverness zusammen. Zur vollen Stunde sollte Dempsey eine Pressekonferenz abhalten, zuerst aber wollte sie ihr Team über den aktuellen Stand informieren. Die Stimmung war sehr ernst. Fotografien wurden herumgereicht. Laut Pathologiebericht waren alle fünf Leichen Frauen, aber nur eine ließ sich unmittelbar identifizieren. Rebus starrte in das Gesicht von Annette McKie. Ihre Augen waren geschlossen, und an ihren Wimpern, Haaren und Ohrläppchen hing noch ein bisschen Erde.
»Manuelle Strangulation«, verkündete Dempsey. » Wenn wir Glück haben, bekommen wir sogar einen Daumenabdruck. Wie Sie sehen, hat sie Blutergüsse am Hals, besonders im Bereich um den Kehlkopf. Große Hände, sagt die Pathologin. Dem Stadium der Zersetzung und Insektenaktivität nach zu urteilen ist das Opfer zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Tage tot.« Sie sah in den Raum. »Heute ist es drei Wochen her, dass sie entführt wurde, also denke ich, können wir davon ausgehen, dass sie nicht mehr lange am Leben blieb.« Dempsey widmete sich wieder ihren Notizen. »Dem ersten Augenschein nach handelt es sich bei dem Opfer um Annette McKie, wobei die Familie erst noch aus
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