Maedchengrab
Edinburgh anreist, um sie offiziell zu identifizieren.«
»Sind die anderen Opfer genauso gestorben?«, unterbrach jemand Dempsey in ihrem Redefluss. Sie blickte den Übeltäter finster an.
»Das lässt sich nicht mehr feststellen. Die Zersetzung ist zu weit fortgeschritten. Es lassen sich bei keiner Leiche Anzeichen für Stich- oder Schusswunden erkennen, aber mehr wollte die Pathologin vorläufig dazu nicht sagen. Was Annette McKie angeht, so hat es wahrscheinlich auch sexuelle Handlungen gegeben, bislang liegen aber keine Hinweise auf gewaltsame Penetration vor. Die Pathologin hat noch einen ganzen Berg Arbeit vor sich, und wir dürfen erst in einigen Tagen mit ihrem vollständigen Bericht rechnen. Unsere Freunde von Lothian and Borders haben uns sämtliche Angaben zu den vermissten Frauen zur Verfügung gestellt, und diese werden vorläufig sehr hilfreich sein. Ich muss betonen, dass die Identität der anderen Opfer bislang nicht sicher geklärt ist. Ich möchte nicht, dass jemand voreilige Schlüsse zieht.«
Nicken und zustimmendes Gemurmel. Clarke hatte die Hand gehoben. Dempsey überlegte einen Augenblick, bevor sie entschied, die Frage zuzulassen.
» Wer wird Annette McKie identifizieren?«
»Einer ihrer Brüder, denke ich. Offensichtlich ist ihre Mutter mit den Nerven am Ende. Wahrscheinlich hat sie die Live-Berichterstattung im Fernsehen gesehen.« Die Erwähnung des Fernsehens ließ sie auf die Uhr schauen. »Ich muss mich auf die Begegnung mit den Schakalen vorbereiten«, sagte sie. »Danach sollten wir zu einer weiteren kurzen Besprechung zusammenkommen. Bis dahin denken Sie scharf nach. Ich möchte konstruktive Ideen – so viele wie nur irgend möglich. Und jetzt alle zurück auf den Posten …«
Als sich die Versammlung auflöste, preschte Page vor, um seine Bitte vorzutragen, zur Pressekonferenz zugelassen zu werden. Rebus wandte sich an Siobhan Clarke.
» Wir haben keine ›Posten‹ zugewiesen bekommen, oder?«
Sie sah sich im Raum um. »Nein«, meinte sie, »haben wir nicht.«
»Und einen Schlafplatz für die Nacht haben wir auch nicht – es sei denn, wir riskieren’s im Hotel.«
» Wohl wahr.«
»Und wir beide brauchen immer noch Stiefel.«
Auch das konnte sie nicht leugnen: Ihre Schuhe waren schlammverkrustet. »Schlägst du einen Einkaufsbummel vor?«
»Und vielleicht auch einen kurzen Abstecher ins Fremdenverkehrsbüro – mal die Lage in den Pensionen peilen.«
Clarke starrte in Richtung Page. Page lächelte Dempsey an und neigte dankbar den Kopf. Er war dabei. »Dauert bloß eine Stunde«, drängte Rebus.
»Schön«, presste Siobhan Clarke durch zusammengebissene Zähne.
Bewaffnet mit der Adresse einer Pension, in der man bereit war, sie aufzunehmen, betraten sie gerade erneut das Präsidium der Northern Constabulary, als das Interesse der Pres semeute erwachte. Ein Wagen traf ein, ein weißer Range Rover Sport mit getönter Heckscheibe. Frank Hammell fuhr, Darryl Christie saß auf dem Beifahrersitz, seine ganze Konzentration auf das Display seines Handys gerichtet. Ein paar Fotos wurden geschossen, Fernsehkameras auf Schultern gehievt, aber man machte ihnen Platz und behandelte sie durchaus mit Respekt, während sie in der ihnen zugewiesenen Lücke parkten und ausstiegen. Niemand rammte ihnen ein Mikrofon ins Gesicht und fragte nach ihrer Reaktion in dem Moment, in dem sie die Nachricht erfahren hatten. Rebus hielt Hammell und Christie die Tür auf, keiner der beiden schien ihn wiederzuerkennen, möglicherweise auch deshalb, weil sie jeden Blickkontakt mieden.
Während die beiden am Empfang ihre Namen angaben, zeigten Rebus und Clarke ihre Dienstausweise vor und gingen vor ihnen in den Gang.
»Dempsey will die beiden anscheinend zuerst hier sprechen«, sagte Clarke halblaut.
»Ist doch netter als im Leichenschauhaus.«
»Trotzdem werden sie da nicht drum herumkommen …«
Auch wieder wahr, dachte Rebus. Er war mehrere Dutzend Mal dabei gewesen, wenn vor Verwandten und Freunden – Müttern und Vätern, Partnern und Geliebten – das Leichentuch weggezogen wurde. Sie unterdrückten ihre Tränen, vielleicht entfuhr ihnen ein Stöhnen, ein erstickter Laut, anschließend wurden sie gebeten, die Identität der Person, die dort kalt und leblos vor ihnen lag, zu bestätigen. Keine schöne Aufgabe, und Rebus hatte sich hinterher immer als völlig unbrauchbar entpuppt, hatte nie die richtigen Worte oder eine tröstende Formulierung gefunden. Meist wollten sie alle dieselbe
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