Maedchenjagd
stehen, keine Sorge, also beruhige dich.«
Chris schaltete sich ein. »Wie kannst du dir da sicher sein, Shana? Was ist los mit dem Mann? Ist er gewalttätig?«
Frustriert erwiderte Shana: »Er war nicht gewalttätig. Er hat mir erzählt, dass seine Familie ihn in die Klinik gesteckt hat, weil er suizidgefährdet war. Und ich weiß, dass er nicht hier aufkreuzen wird, weil er nämlich tot ist. Können wir das Thema jetzt beenden?«
Sowohl ihre Mutter als auch Chris sahen sie entgeistert an. »Das ergibt doch keinen Sinn«, wandte Lily ein. »Wieso glaubst du dann, dass er tot ist?«
»Eine Freundin aus der Klinik war auf seiner Beerdigung.«
»Aber tote Männer schicken keine Blumen.«
»Dieser tote Mann offensichtlich schon. Vielleicht hat er sie bereits letzte Woche, also vor seinem Tod, bestellt. Jedes Jahr an Marilyn Monroes Geburtstag schickt ein Unbekannter Blumen an ihr Grab.« Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie den Ballast darin loswerden. »Ich geh jetzt zum Lernen in mein Zimmer. Ich habe keinen Hunger, also kümmert euch wegen des Abendessens nicht um mich. Wahrscheinlich werden wir morgen herausfinden, dass die Blumen dem Nachbarn gehören. Verdammt, es sind Blumen, nichts weiter. Niemand hat uns ein totes Huhn geschickt. Warum macht ihr so einen Aufstand deswegen.«
Im Gästezimmer versuchte Shana, sich aufs Lernen zu konzentrieren, doch sie konnte nicht aufhören, an die Nacht zu denken, in der sie mit Alex geschlafen hatte. Als sie die Lichter löschte und einschlafen wollte, hatte sie das Gefühl, nicht allein zu sein, und sie war plötzlich sicher, dass der Geist von Alex bei ihr war. »Wo bist du?«, flüsterte sie und spähte ins Dunkel.
Er hatte gesagt, dass sie vom Schicksal dazu bestimmt waren, zusammen zu sein, dass sie sich gemeinsam von der Erde ins Paradies stürzen könnten. War er allein gewesen, als er starb? Der Tod ließ so viele Fragen offen.
Die Uhr tickte, und Shana konnte nicht einschlafen. Noch einmal flüsterte sie: »Es tut mir leid, Alex.« Kaum dass sie die Worte gesprochen hatte, schlossen sich ihre Augen, und sie schlief endlich ein.
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31
Sonntag, 31 . Januar
Ventura, Kalifornien
A uf einer Bank in einer Bushaltestelle, nur wenige Meter entfernt, saß Alex!
Shana war in Lilys Auto unterwegs, um Shampoo und Wimperntusche aus der Drogerie zu besorgen. Hart trat sie auf die Bremse. Hinter ihr hupten die Autos. Sie wandte sich um, aber Alex war verschwunden. Eine einzelne Person saß an der Bushaltestelle, ein heruntergekommener Mann um die fünfzig. Den Beuteln und Decken nach, die er bei sich trug, war er obdachlos, vermutlich hatte eine staatliche Nervenheilanstalt ihn auf die Straße gesetzt. »Haben Sie einen Mann gesehen?«, rief Shana aus dem Autofenster. »Jemand, der gerade eben noch neben Ihnen saß?«
Der Mann wickelte seine schmutzige Decke enger um seinen Oberkörper und murmelte etwas Unverständliches. Shana griff nach ihrer Handtasche, sprang aus dem Auto und reichte ihm das Bargeld, das sie im Geldbeutel hatte. Er starrte auf die Geldscheine in seiner Hand, und Shana setzte sich wieder ins Auto und fuhr fort.
Selbstmitleid und Bestürzung überwältigten sie, und sie musste weinen. Womöglich würde sie selbst eines Tages dort auf dieser Bank sitzen, ohne ein Zuhause, ohne Menschen, denen sie etwas bedeutete. Alex war tot. Sie hatte einen toten Menschen gesehen. Nur ein Verrückter bildete sich so etwas ein.
Beim Abendessen war Shana schweigsam, und den Rest des Abends verbrachte sie auf dem Balkon und starrte aufs Meer hinaus. Lily brachte ihr einen Pullover, ließ sie aber allein.
Um Mitternacht, als Chris und Lily schlafen gegangen waren, ging auch sie zu Bett. Sie war endlich eingeschlafen, als sie vom Klingeln ihres Handys aufgeschreckt wurde. Auf dem erleuchteten Display stand die Uhrzeit. Es war 3 : 15 . Schnell griff sie nach dem Telefon, um ihre Mutter und Chris nicht zu wecken.
»Hallo?« Sie hörte nur ein schweres Atmen. »Wer ist da?«
In der Stille spürte Shana die Gegenwart eines anderen Menschen. Sie setzte sich auf und schaltete eilig die Bettlampe ein. »Alex, bist du’s?« Sie erhielt keine Antwort, doch die Verbindung wurde nicht unterbrochen. »Wenn du es bist, Alex, dann sprich mit mir.« Sie hörte ein Klicken in der Leitung. Er hatte aufgelegt.
Am folgenden Tag blieb Shana bis zwei Uhr mittags im Bett liegen. Sie ging nicht ans Telefon und vergrub sich unter der Decke. Wenn sie jemandem erzählte, was
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