Maedchenjagd
die Göttlichkeit nennen. Oder es wird in einem anderen bedeutungslosen Körper eingesperrt. So viele Menschen verabscheuen ihr Leben. Ich weiß das, es gibt sogar Klubs, Selbstmordklubs. Sie wollen sterben und ihren Körper gegen einen neuen austauschen. Ich weiß, dass du das ebenfalls willst, deshalb werde ich dir dabei helfen und deiner Mutter auch.« Er nahm einen Zug von seiner Zigarette und blies den Rauch aus. »Wahrscheinlich bist du noch immer verbittert wegen dem, was deine Mutter getan hat, aber in der nächsten Welt werden wir uns alle lieben. Dort gibt es keine Wut, keine Feindseligkeit, keine Trauer und keine Gewalt. Dort ist das Paradies, nach dem wir uns alle sehnen, auch wenn wir es nicht wissen.«
Shana kicherte. Sie hatte die Augen geschlossen, und ihr Kopf rollte hin und her. Die Bedeutung von Alex’ Worten glitt im Narkosenebel an ihr vorbei. Sie befand sich in einer längst vergangenen Zeit, bei ihren Freundinnen, und war sich barmherzigerweise nicht bewusst, dass ihr Leben an einem seidenen Faden hing.
Unweit davon fuhr Chris durch die Straßen, suchte die Vorgärten und Gehsteige und die Pfade zwischen den Häusern ab. Er lenkte das Auto in die engen Gassen und löste Aufregung und Gebell bei den Hunden in der Nachbarschaft aus. Die Tankanzeige des Volkswagens stand kurz vor der Null. Er hatte am folgenden Morgen tanken wollen. Er konnte nicht länger herumfahren. Entweder er gab auf, oder er fand eine Tankstelle, die um drei Uhr in der Nacht geöffnet hatte.
Chris vermutete, dass Shana alte Freunde kontaktiert hatte, die sie abgeholt hatten. Vielleicht waren sie in eine Disco gegangen, dort ging es erst spät richtig los. Sie hätte wenigstens eine Nachricht hinterlassen können. Wahrscheinlich hatte sie mit den Freunden telefoniert, nachdem er und Lily ins Bett gegangen waren. Jedenfalls ergab das wesentlich mehr Sinn als ein vermeintlich Toter, der Shana aus dem Haus entführt hatte.
Er rieb sich die Augen und bemühte sich, die Straße vor sich auszumachen. Er war todmüde, vor ihm lag ein anstrengender Tag, und er suchte die Stadt nach jemandem ab, der aller Wahrscheinlichkeit nach nicht einmal gefunden werden wollte.
Zudem würde er kaum eine geöffnete Tankstelle finden, denn Ventura war eine Schlafstadt, in der um zehn Uhr abends die Bürgersteige hochgeklappt wurden. Mitten auf dem Pacific Coast Highway, auf der Suche nach einer Tankstelle, begann der Volkswagen zu stottern, dann starb er ab. Nie zuvor in seinem Leben war ihm das Benzin ausgegangen. In einem Volkswagen sollte das gar nicht möglich sein. Er hatte gewusst, dass nur mehr wenig Benzin im Tank war, und er fühlte sich wie ein Idiot. Er hätte Lilys Volvo nehmen sollen.
»Verdammt«, sagte er, stieg aus und öffnete die Motorhaube, um die Chancen zu erhöhen, dass jemand anhielt. Bis nach Hause waren es mindestens zwölf Kilometer, und in der Eile hatte er vergessen, sein Mobiltelefon mitzunehmen. Immer wieder raste ein Auto vorbei, doch keines hielt an. Um diese Uhrzeit würde niemand stehen bleiben. Nachdem er etwa dreißig Minuten am Straßenrand gewartet hatte, sperrte er das Auto ab und machte sich zu Fuß auf den Heimweg.
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35
Mittwoch, 3 . Februar
Ventura, Kalifornien
N achdem Chris das Haus verlassen hatte, versuchte Lily, im Bett zu lesen, doch immer wieder döste sie ein. Sie sagte sich, dass Chris jeden Augenblick mit Shana im Schlepptau hereinkommen würde. Vielleicht lag es an Shanas Schlaflosigkeit. Nachdem die Klinik Shana keine Medikamente mitgegeben hatte, sollte sie mit ihr zum Hausarzt gehen und sich eines der neuen Schlafmittel verschreiben lassen. Lily hatte jahrelang unter Schlaflosigkeit gelitten, bis sie Chris kennengelernt hatte. Er hatte ihre Dämonen vertrieben, und nun, da die Vergangenheit sie nicht mehr heimsuchte, schlief sie ohne Probleme die Nächte durch.
Sie rief Chris auf seinem Handy an und wurde unruhig, als er nicht abnahm. Doch dann nahm sie ein Klingeln aus dem Badezimmer wahr. Er hatte sein Handy vergessen. Da ohnehin jemand im Haus bleiben musste, für den Fall, dass Shana zurückkehrte, löschte sie schließlich das Licht und schlief ein.
Als sie einige Zeit später aufwachte, spürte sie Chris, der sich an sie schmiegte. Er musste Shana gefunden haben, dachte sie, und augenblicklich entspannte sie sich. Wegen der dicken Vorhänge vor den Schlafzimmerfenstern konnte sie nicht erkennen, ob es draußen noch dunkel oder schon Morgen war. Alles musste in
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