Maedchenjagd
Augen waren geschlossen, die Arme waren über der Brust gekreuzt. Es sah aus, als läge sie auf dem Seziertisch. In dem Augenblick, in dem man sein Kind mit den sichtbaren Zeichen des Todes vor sich sah, wusste man, was es bedeutete, wenn einem das Herz brach.
Alex kauerte in einer Ecke des Zimmers, in seiner Hand baumelte ein großkalibriger Revolver. Fast beiläufig richtete er ihn auf Lily. »Keine Bewegung, sonst schieß ich.«
Lily war es egal, ob er sie tötete. »Du hast meine Tochter ermordet! Erschieß mich, Scheißkerl. Los. Dafür wirst du in der Hölle schmoren. Ich würde dich selbst töten, wenn ich könnte, da kannst du dir sicher sein. Ich werde dich erwischen und dir deinen beschissenen Kopf wegblasen. Ich habe es schon mal getan, und ich werde es wieder tun.«
Statt auf sie zu schießen, stieß Alex sie ganz einfach mit dem Arm zu Boden. Es schien ihr, als habe nicht ein Mensch, sondern eine Maschine sie getroffen. Sie traf auf dem Boden auf und verlor das Bewusstsein. Kurz darauf kam sie wieder auf die Beine und stürzte sich auf ihn. Sie schlug ihm die Fingernägel in die Wangen, doch er trat zurück und stellte dann seinen Fuß mitten auf ihre Brust.
»Hör auf damit«, sagte er und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Ich hätte nie gedacht, dass du so was machst. Du bist dumm, Shana ist nicht tot. Sie schläft nur.« Sein Blick wanderte nach unten, und er fischte eine Zigarette aus seiner Hosentasche.
Lily wandte den Kopf zu Shana. Sie musste tot sein. Sie war viel zu reglos, um noch am Leben zu sein. Tränen liefen an ihren Wangen herab, und im Geiste sah sie Shana vor sich, die ihr mit einem entzückenden Lächeln aus dem Laufstall entgegengluckste. Dann sah sie sie in ihrer Softball-Teamkleidung auf dem Sportplatz. Es waren nur Erinnerungen, etwas anderes würde Alex ihr nicht übrig lassen. Sie könnte nicht weiterleben, wenn ihre Tochter tot war. Sie könnte unmöglich Chris’ Frau werden oder weiterhin als Richterin arbeiten. Ihr Leben war vorbei.
»Töte mich«, forderte sie Alex auf. Ihr Gesichtsausdruck war kaum weniger wild als seiner. »Mach schon. Ich will nicht leben. Erschieß mich. Los.«
Etwas veränderte sich in seinen Augen. Er bückte sich und hob sie in seine Arme, dann trug er sie zum Bett. Sie konnte die Waffe nicht sehen, wusste aber, dass er sie in der Hand hielt. Er kniete sich neben dem Bett hin und beugte sein Gesicht ganz nah an ihres.
»Ich bin verrückt«, begann er sein erbärmliches Geständnis. »Ich kann mich nicht beherrschen. Und ich kann nichts gegen den Lärm in meinem Kopf tun.«
»Ich weiß«, sagte Lily und bemühte sich um eine ruhige Stimme. Verzweifelt versuchte sie, sich einen Plan zurechtzulegen. Was, wenn Shana tatsächlich noch am Leben war? Wenn es so war, dann musste sie sie retten.
»Ich ertrage den Schmerz nicht länger. Verstehst du denn nicht? Ich ertrage den Schmerz und die Einsamkeit nicht. Diesmal werfen sie mich ins Gefängnis, wenn sie mich erwischen. Das Gefängnis werde ich nicht überleben. Ich bin zu schwach und zu verrückt. Die Häftlinge werden mich töten.«
»Ich weiß … ich verstehe dich … Komm zu mir, Alex. Lass dich in die Arme nehmen. Du bist mir nicht egal. Wirklich.«
»Nein.« Seine Augen wurden wieder düster. »Du willst mich hereinlegen. Ich bin nicht blöd.« Zögernd streckte er eine Hand aus und berührte Lilys Haar.
»Ich weiß, dass du ein Genie bist«, sagte Lily. »Und du täuschst dich, Alex. Ich würde dich niemals hereinlegen. Was hast du mit Shana gemacht? Was fehlt ihr?«
»Ich habe es dir doch gesagt, sie schläft.«
Lily betete, flehte Gott um Hilfe an, und hoffte wider besseres Wissen, dass Shana am Leben war. Sie erinnerte sich an den Tag, als Shana ihren Abschluss von der Highschool gefeiert hatte, wie schön sie gewesen war, mindestens einen Kopf größer als ihre Klassenkameraden. So durfte es nicht enden, er durfte dieses junge Leben, ihre Zukunft, nicht stehlen. »Alex, komm zu mir, Baby. Komm zu mir ins Bett und halte mich fest. Ich habe Angst.«
»Ich muss jetzt alles fertig machen«, sagte er und griff nach ihrem Nachthemd. »Wir müssen zum Teich aufbrechen. Wenn wir es wegen der Polizei nicht bis zum Teich schaffen, dann müssen wir es hier machen.«
Er zog ihr das Hemd über den Kopf und legte es auf das Nachtkästchen. Sie rührte sich nicht, wehrte sich nicht. Starr behielt sie die Waffe im Auge, verfolgte sie wie ein Jäger sein Ziel, wartete auf den
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