Maedchenjagd
gehört, um sich auszumalen, was wir gerade getan haben. Jeannie war eine loyale Assistentin. Lily nahm nicht an, dass sie jemandem erzählen würde, was ihr Boss und Richter Rendell hinter verschlossenen Türen gemacht hatten. Eigentlich kümmerte es sie nicht, solange Richter Hennessey nicht davon erfuhr. Sie wünschte, der alte Gockel würde den Löffel abgeben und sie endlich alle erlösen.
Chris ging an Lily vorbei zur Tür und verließ mit einem ernsten Gesichtsausdruck den Raum, vermutlich, um Jeannie gegenüber den Eindruck zu erwecken, sie hätten eine komplizierte juristische Frage erörtert. Lily wollte ihm gerade folgen, als Jeannie sie ansprach.
»Soll ich Ihnen nicht Ihre Nachrichten geben, Richterin?«
»Ich sehe sie mir in der Mittagspause an.«
Mit dem Rücken an die Wand gelehnt, erwartete Chris sie auf dem Gang. »Du kannst nicht Sex mit mir haben, ohne mich zu küssen.« Er kicherte und zog sie zu sich. »Ich fühle mich ausgenutzt.«
»Ich habe dich geküsst«, erwiderte Lily und sah nach links und rechts, um sicherzugehen, dass niemand in der Nähe war. »Ich muss aufs Klo, und jetzt habe ich keine Zeit mehr dafür. Du schuldest mir was.«
»Es tut mir leid.« Er sah sie mit zerknirschtem Blick an. »Du bist doch nicht sauer auf mich, oder?«
»Nein, ich hab es nur eilig.« Wie sollte sie auch sauer auf ihn sein, dachte sie auf dem Weg zum Gerichtssaal. Er hatte die Dämonen verjagt. Durch ihn fühlte sie sich wieder ganz. Als sie mit Bryce zusammen war, hatten sie stets im Schatten gelauert. Es gab nur eines, was ihr Sorgen machte. Sie musste Chris die Wahrheit sagen, bevor sie heirateten.
Es hatte seinen Grund, warum Lily keine Hemmungen hatte, die Todesstrafe auszusprechen. Niemandem mit ihrer Geschichte würde es anders ergehen. Sie selbst hatte einen Mann ermordet, den sie für den Vergewaltiger ihrer Tochter gehalten hatte. Noch dazu war sie ungestraft davongekommen.
Wenngleich Chris sich von seinem strengen Mormonentum distanziert hatte, war ihr doch niemals jemand mit einem größeren Ethos begegnet. Er könnte sie den Behörden ausliefern, und sie würde sich mit einer Anklage wegen Mordes auseinandersetzen müssen. Doch sie musste das Risiko eingehen, koste es, was es wolle. Sie hatte Bryce nie davon erzählt, und ihre Ehe war auseinandergebrochen. Aber sie hatte Bryce auch nicht wirklich geliebt. Sie hatte ihn geheiratet, weil sie ihn brauchte, weil sie Angst vor dem Alleinsein hatte.
Sie wollte keinesfalls eine weitere Beziehung eingehen, die auf Lügen gründete. Chris würde es verstehen, dass eine Mutter sich an dem Mann rächen wollte, der ihre zwölfjährige Tochter mit vorgehaltenem Messer brutal vergewaltigt hatte, während sie hilflos zuschauen musste. Aber könnte er es hinnehmen, dass sie tatsächlich jemanden ermordet hatte? Chris hatte ihr erzählt, dass er daran gedacht hatte, sich an dem Lastwagenfahrer zu rächen, der den Tod seiner Frau und seiner Tochter verursacht hatte. Dieser Umstand machte ihr Mut. Aber darüber nachzudenken, jemanden umzubringen, und es tatsächlich zu tun, waren zwei Paar Stiefel.
Die Feuerprobe würde dann anstehen, wenn sie ihm sagte, dass sie den falschen Mann ermordet hatte.
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4
Mittwoch, 13 . Januar
Ventura, Kalifornien
I n der Mittagspause gelang es Lily endlich, ihre Tochter zu erreichen. »Warum hast du nicht zurückgerufen? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«
»Warum? Ich dachte, du hast einen neuen Freund zur Unterhaltung.«
»Ja, habe ich, Shana, und es wäre schön, wenn ihr euch mal kennenlernt. Ich kann dir für das Wochenende einen Flug buchen. Wenn du willst, kaufe ich auch ein Ticket für Brett. Dann wären wir alle zusammen. Es wäre bestimmt lustig. Das neue Haus ist direkt am Strand.« Lily hörte Shana schniefen, es klang, als habe sie geweint. »Was ist los, Liebes?«
»Brett hat mich sitzenlassen.«
»Wann war das?«
»Vor drei Wochen.«
»Warum hast du nichts gesagt? Du weißt doch, dass ich immer für dich da bin. Warum habt ihr euch getrennt? Habt ihr euch gestritten?«
»Er hat sich hinter meinem Rücken mit einer anderen getroffen. Sie ist ein Flittchen, Mom. Ich verstehe nicht, was er an ihr findet. Sie hat mindestens zehn Kilo Übergewicht und die geistigen Kapazitäten einer Stubenfliege. Sie studiert nicht mal hier in Stanford. Sie hat gerade in Berkeley angefangen, wahrscheinlich will sie einen Abschluss in Wahrsagerei oder so.«
Lily wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie
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