Maedchenjagd
stecke.«
»Du steckst doch immer in einer Verhandlung. Kümmer dich nicht um mich, Mom. Ich schaff das schon.«
Lily hörte ein Klicken; Shana hatte aufgelegt. Chris steckte seinen Kopf zur Tür herein, einen enttäuschten Ausdruck im Gesicht. Sie hatten vorgehabt, gemeinsam bei Joe’s Bar and Grill ein paar Straßen weiter zu Mittag zu essen. Als sie Shana endlich erreicht hatte, hatte Lily Chris aufgefordert, vorauszugehen; sie würde nachkommen, sobald sie fertig sei. »Es tut mir leid«, sagte sie. Auf ihrer Stirn stand der Schweiß. »Ich bin spät dran, sie warten schon auf mich.«
Er legte eine Tüte auf ihren Schreibtisch. »Ich habe dir ein Sandwich mitgebracht. Du musst was essen, Lily. Du bist eh so dünn.«
»Ich bin groß, Chris«, sagte sie und schlüpfte in ihre Richterrobe. »Ich war schon immer dünn. Das hat mit meinem Stoffwechsel zu tun. Vielen Dank für das Sandwich. Ich werde es in der Nachmittagspause essen.«
Lily lief den Korridor hinunter zum Sitzungssaal, und ihre schwarze Robe flatterte wie ein Cape. Keuchend und außer Atem rannte sie schließlich die Stufen zur Richterbank hinauf. Sie atmete ein paarmal tief durch, um zur Ruhe zu kommen, und eröffnete die Sitzung. Als Clinton Silverstein seine Rede beendet hatte, wandte sich Lily an Fowler. »Sie können mit Ihrem Eröffnungsplädoyer beginnen, Herr Verteidiger.«
Fowler stand auf und richtete sich an die Geschworenen. »Meine Damen und Herren, wir wurden heute zusammengerufen, weil sich eine schreckliche Tragödie ereignet hat. Ein unschuldiges, ahnungsloses Kind ist unverdient zum Opfer einer sinnlosen Tat geworden. Genauso hätten Sie und ich in jene Situation geraten können, die uns heute hier zusammengeführt hat. Doch es gibt noch eine weitere Tragödie in diesem Fall. Meine Mandantin, die hier zur Schule gegangen und die Tochter eines angesehenen Mitglieds unserer Gemeinde ist, ist fälschlicherweise dieses Verbrechens angeklagt. Stellen Sie sich bitte einmal vor, was es bedeuten muss, unverschuldet all jener Dinge verdächtigt zu werden, die uns die Staatsanwaltschaft glauben machen will. Was würden Sie in diesem Fall tun? Die Staatsanwaltschaft hat versäumt, Ihnen zu sagen, dass die Anklage teilweise auf einer dilettantischen Beweisführung beruht. Es mag stimmen, dass die DNA meiner Mandantin im Kofferraum ihres Autos gefunden wurde, wo sie nach Aussage des Staatsanwalts vorsätzlich die Leiche ihres geliebten Kindes liegenlassen hat. Doch es handelt sich um ihr Auto, somit ist ihre DNA selbstverständlich im ganzen Auto zu finden. Glauben Sie nicht, dass Dr. Reynolds, der seit mehr als dreißig Jahren ein geschätzter Vertreter unserer Ärzteschaft ist, Vorsorge getragen hätte, wenn er auch nur den geringsten Verdacht gehabt hätte, dass sein Enkel von seiner Tochter misshandelt würde? Sicher, es gab immer mal wieder Missstimmungen zwischen Noelle und ihrem Vater.« Fowler machte eine Pause und lachte. »Wer kann schon von sich behaupten, dass er ein vollkommen ungetrübtes Verhältnis zu seinen Eltern hatte? Mein Vater hat in der Marine gedient, und er hätte mich in einer Zelle verrotten lassen, wenn ich das Gesetz gebrochen hätte, geschweige denn ein Kind misshandelt. Wie Dr. Reynolds war er ein unnachgiebiger Vater, der die Regeln festlegte und von mir erwartete, dass ich sie befolgte. Ich weiß, es bricht Ihnen das Herz, wenn Sie an das unglückliche Opfer denken, aber das darf Sie oder jeden anderen vernünftigen Menschen nicht von den Tatsachen ablenken. Meine Damen und Herren, wir können das arme, unglückliche Opfer nicht zurückholen, um es erzählen zu lassen, was wirklich passiert ist. Meine Mandantin würde alles dafür geben, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Wir dürfen uns nicht auf die unzuverlässigen Zeugenaussagen und die schlampige Polizeiarbeit verlassen, die die Anklage anführen wird. Bitte, hören Sie nicht auf, alles zu hinterfragen, und vergessen Sie nicht, dass jede Geschichte zwei Seiten hat. Wenn Sie der Staatsanwaltschaft zuhören, dann denken Sie daran, dass man Ihnen nicht die ganze Geschichte erzählen wird. Es ist nicht Aufgabe der Anklage, das zu tun. Der Staat hat bereits zu viel Zeit und Geld in die fehlgeleitete Untersuchung und die Anklage gesteckt, und es ist zu spät, zuzugeben, dass man sich getäuscht hat. Meine Mandantin würde niemals von sich behaupten, dass sie fehlerlos ist, aber haben wir nicht alle schon Fehler gemacht, die wir später bereut haben? Meine
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