Maedchenjagd
dich aufpassen.«
»Du, du, du.« Shanas Stimme wurde laut und aggressiv. »Immer geht es nur um dich. Ich bin eh nur hier, um es dir recht zu machen. Nur weil du Jura studiert hast, hast du gemeint, ich solle es auch tun. Niemand macht sich je Gedanken darüber, was ich will.«
»Es sind doch nur mehr wenige Monate.« Lilys Hände zitterten. Wie konnte Shana so daherreden? Sie hatte immer Staatsanwältin werden wollen, seit der Vergewaltigung, weil sie Einfluss nehmen und gefährliche Kriminelle hinter Gitter bringen wollte. Lily hatte ein Vermögen für ihre Ausbildung ausgegeben, sie hatte sogar Geld von ihrer Altersvorsorge abgezweigt, die seit dem Zusammenbruch der Börse im vergangenen Jahr ohnehin ziemlich geschmälert worden war. Richter verdienten nicht schlecht, doch es blieb nicht viel übrig, nachdem sie für Shana alle Rechnungen beglichen hatte. Zudem schien das Mädchen nie genug Geld zu haben und bat ständig um mehr. Lily gab nach, weil sie Streit vermeiden wollte. »Kannst du nicht noch ein bisschen durchhalten, Schatz? Du bist so nah am Ziel.«
»Du verstehst mich immer noch nicht«, fuhr Shana auf. »Selbst wenn ich den Abschluss schaffe, muss ich immer noch das Anwaltsexamen bestehen. Kannst du dir vorstellen, was es bedeutet, jahrelang zu studieren und am Ende eine blöde Prüfung nicht zu bestehen? Ich habe einen Typen kennengelernt, der fünfmal durchgefallen ist. Er arbeitet jetzt als Barkeeper. Ich bringe mich um, wenn das passiert. Du weißt, dass ich bei Prüfungen oft versage. Immer schon.«
Lily liebte ihre Tochter sehr, aber sie war ein wahrer Blutsauger. Sie zog alle Energie ihres Gegenübers ab. Sie brauchten nur fünf Minuten zu reden, und Lily war völlig ausgelaugt, selbst wenn alles in Ordnung war. Jetzt fühlte sie sich so erschöpft, dass sie am liebsten die Verhandlung am Nachmittag abgesagt hätte und nach Hause gefahren wäre. »Shana, Liebes«, sagte sie und stützte den Kopf auf die Hand. »In Ventura gibt es eine Reihe von Repetitorien speziell für das Anwaltsexamen. Dann lernst du eben ein bisschen länger auf die Prüfung. Was soll’s? Ich habe damals auch ein Repetitorium besucht, und es hat mir sehr geholfen.«
»Sei nicht so gönnerhaft, Mutter. Du hast das Examen beim ersten Mal bestanden, noch dazu als eine unter den zehn Prozent Besten. Verdammt, weißt du gar nicht, wie schwierig das ist? Ich kann noch nicht einmal ansatzweise mithalten. Ich habe dein Aussehen geerbt, nicht deinen Verstand. Dad hätte es nie so weit kommen lassen. Du willst dir einfach nicht eingestehen, dass deine Tochter nicht so schlau ist wie du.«
Beide Anschlüsse an Lilys Telefonapparat blinkten. Sie sah auf die Uhr; sie war schon jetzt spät dran für die Verhandlung. Wenn Hennessey erfuhr, dass sie einen vollbesetzten Gerichtssaal warten ließ, würde er sie fertigmachen. Sie drückte auf die Gegensprechanlage und bat Jeannie, dem Gerichtsdiener Bescheid zu geben, dass sie sich wegen eines Notfalls verspäten würde. Als sie den Hörer wieder aufnahm, war Shana noch immer am Reden.
»… Du hast mir nie gesagt, dass die Anwaltsprüfung in Kalifornien eine der schwersten in ganz Amerika ist. Es ist ein Ausschlussverfahren. Dabei geht es nicht nur darum, die Leute auszusondern, die nichts taugen, sondern insgesamt die Zahl der Juristen im Staat zu regulieren. In anderen Staaten sind die Prüfungen weniger umfangreich und einfacher, weil es dort nicht so viele Anwälte gibt wie in Kalifornien.« Shana machte eine Pause und atmete tief ein. »Warum hast du mich nicht auf die Uni in Oklahoma oder so geschickt? Dann hätte ich wenigstens eine Chance. Aber nein, du wolltest, dass ich versage. Dad hat gesagt, dass du es magst, wenn andere etwas in den Sand setzen, weil du dich dann noch toller fühlst.«
Lily hatte das Bedürfnis, auf wundgescheuerten Knien aus dem Büro zu robben. Wenn es nach ihrem verstorbenen Mann und Shana ging, war sie für alles verantwortlich, was in der Familie jemals schiefgegangen war. John hatte ihr sogar die Schuld an der Vergewaltigung zugeschrieben. Doch John war tot, und Lily hatte getan, was sie konnte, um das Verhältnis zu ihrer Tochter zu verbessern. Wann immer sie dachte, sie hätte die Vergangenheit endlich hinter sich gelassen, holte sie sie mit einem kräftigen Schlag ins Gesicht wieder ein. »Ich komme dich besuchen. Wir finden einen Weg, um alles in Ordnung zu bringen. Ich kann allerdings erst morgen kommen, weil ich mitten in einer Verhandlung
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