Maedchenjagd
an, die Eltern anzufahren. Sie war oft gereizt. Lily wollte das nicht hinnehmen, aber John untergrub ihre Versuche, Shana zu maßregeln, und ließ sich wie ein Dienstbote herumkommandieren. Die Kluft zwischen den Eltern wuchs.
Lily versuchte, mit Shana zu reden, aber auch die alten Psychotricks funktionierten nicht mehr. Eines Tages, als John nicht zu Hause war, setzte sie sich hin und führte eine ernste Aussprache mit ihrer Tochter. »Du verstehst das nicht«, sagte das Mädchen. »Den lieben langen Tag muss ich lächeln und nett sein. Wenn ich dann nach Hause komme, kann ich mich manchmal einfach nicht länger zusammenreißen.«
Shana musste ihre Position als beliebtestes Mädchen der Schule verteidigen. Manchmal waren die anderen Mädchen neidisch und verbreiteten Lügengeschichten über sie. Wie ein Politiker, der sich zur Wiederwahl stellt, analysierte Shana ihre Umfragewerte, warb um neue Anhänger und stellte sicher, dass ihre Gefolgsleute auch für sie stimmten. Einmal schlug ihr ein Mädchen nach der Schule ins Gesicht, und Shana verprügelte sie so, dass sie ihr beinahe die Hand gebrochen hätte. Als sie wegen dieses Streits einen Verweis bekam, riet Lily ihr dazu, nachzugeben. Aber es war nicht einfach, die Stellung an der Spitze aufzugeben. Shana war wie Lily hartnäckig und eisern darum bemüht, ihre Umgebung zu kontrollieren.
Einen Monat zuvor war Shana mit besonders schlechter Laune nach Hause gekommen. Lily hatte noch einmal das Thema angesprochen. »Die meisten Menschen haben ein paar wenige, gute Freunde, mit denen sie glücklich sind. Warum musst du die ganze Schule zum Freund haben? Warum ist es so wichtig, dass alle dich mögen?«
»Du verstehst das nicht«, antwortete Shana. »Darum geht es gar nicht. Sie brauchen mich.«
Ungläubig schüttelte Lily den Kopf. »Das ist vollkommen absurd, Kind. Sie brauchen dich doch nicht. Was redest du da?« Sie dachte darüber nach. »Meinst du, dass jemand der Anführer sein muss, und wenn du es nicht bist, ist es ein anderer?«
»Ja, genau. Schau mal, Mom, ich rauche nicht, nehme keine Drogen und hör auch keine schlimme Musik an. Und ganz sicher mach ich nicht mit Jungen rum. Ich habe gute Noten – meistens jedenfalls –, und ich helfe den anderen Kindern und höre mir ihre Probleme an. Wenn irgendwelche Mädchen sich streiten, bringe ich sie dazu, sich zu versöhnen.«
Das also war es, hatte Lily gedacht. Es klang genau wie die Gründe, die sie zu einer Staatsanwältin hatten werden lassen und ihr Antrieb waren, Richterin zu werden. Sie hielt die Zügel ihres Lebens in der Hand und hatte ihrer Tochter beigebracht, es genauso zu tun.
Die kleine Brünette auf dem Spielfeld, die an der Reihe war, holte aus und schlug den Ball; auf der Tribüne schrien die Eltern während ihres kurzen Laufs zur ersten Base. Auch die Nächste traf den Ball, wurde aber an der ersten Base eingeholt. Das Spiel war zu Ende, und Shanas Team hatte gewonnen.
Die Mädchen machten sich auf den Weg zur Spielerbank, wobei die meisten darum bemüht waren, möglichst dicht an Shana zu bleiben. Im letzten Jahr hatten sich die Riten nach dem Spiel verändert. Statt sich auf die Kekse und Limonaden zu stürzen, die die Mütter bereithielten, holten einige Mädchen Haarbürsten und Lipgloss aus der Tasche.
John unterwanderte die Gruppe, legte seine Arme um Shanas Hüfte und hob sie hoch in die Luft. »Ich bin so stolz auf dich, Purzel.« Sie beide bemerkten Lily, die nur ein paar Schritte entfernt wartete, und sie lächelten. Doch sie lächelten nicht Lily an. Lily war klar, dass sie ihre Nähe zur Schau stellten, ihr zeigten, dass sie diesen Augenblick zu zweit auskosteten und nicht mit ihr teilen wollten. John stellte Shana auf dem Boden ab, blickte Lily direkt in die Augen und legte seinen Arm um Shanas Schulter. Er begleitete sie bis zur Spielerbank, zog sie fest an sich und drehte sich um, um zu sehen, ob Lily sie noch beobachtete. Die Mädchen drängten sich nun nicht nur um Shana, sondern auch um John. Lily zuckte zusammen und betrachtete ihre Finger am Drahtzaun. Die beiden wandten sich ab.
Kurz darauf ging ihr John entgegen und hob unterwegs ein paar Schläger vom Boden auf. Die Baseballmütze ließ tiefe Falten auf seiner Stirn entstehen. Er war siebenundvierzig Jahre alt, elf Jahre älter als Lily, und sein Haar wurde schütter, so dass die Kopfhaut immer deutlicher durchschimmerte. Er war dennoch ein attraktiver Mann, hatte einen muskulösen Körper und ein
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