Maedchenjagd
Lily einen Dummkopf und bezichtigte sie, dass es ihr nur um Macht und ihr Ego ginge.
Shana war erst wenige Monate alt gewesen, als Lily beschlossen hatte, Jura zu studieren. Es war eine schwerwiegende Entscheidung gewesen, denn sie arbeitete am Empfang eines der Krankenhäuser am Ort, und John war bei einer Arbeitsvermittlung angestellt, und sein Gehalt schwankte von Monat zu Monat. Um über die Runden zu kommen, musste Lily auch weiterhin arbeiten. John unterstützte sie in ihrer Entscheidung, Anwältin zu werden, und er hörte nicht auf, darüber zu reden, wie viel Geld sie verdienen würde und dass sie nie wieder Geldsorgen haben würden. »Du studierst Jura, und ich eröffne meine eigene Arbeitsvermittlung. Dann haben wir ausgesorgt.« Lily arbeitete nachts, und tagsüber kümmerte sie sich um ihr Studium; Shana blieb nur dann in Obhut des Babysitters, wenn Lily tatsächlich in der Uni war. Jede freie Minute, bevor sie zur Spätschicht ins Krankenhaus musste, schleppte Lily ihre Tochter mit sich herum und redete auf sie ein, als wäre sie eine Erwachsene.
Lily konnte sich an den exakten Zeitpunkt erinnern, an dem Shana ihre ersten Worte sprach. Es war nichts Außergewöhnliches, sie sagte »da, da« wie alle Babys, aber im Nu begann sie zu plappern. All die Worte, die Lily zu ihr gesagt hatte, schienen wie durch Zauberei aus Shana herauszupurzeln. Je mehr Shana sprach, desto mehr redete auch Lily mit ihr, und Shana eignete sich schnell ein umfangreiches Vokabular an. Die Leute fragten sie nach ihrem Namen, und Shana lächelte und sagte so etwas wie »Nebenkläger«, was großes Gelächter hervorrief. Daraufhin klatschte Shana in die Hände, gluckste und sagte es noch einmal.
Lily hatte sie nicht ein Mal in ihrem Leben geschlagen. Sie las jedes Buch über Kindererziehung, das sie in die Finger bekam. »Man darf keine Kinder beißen«, sagte sie zu Shana. »Man beißt in einen Apfel.«
Obwohl Lily kaum zum Schlafen kam, hier und da ein Mittagsschläfchen, wenn Shana ihres machte, oder in den frühen Morgenstunden ein Nickerchen an der Krankenhauspforte, war sie glücklich. Sie hatte keine Zeit, über ihre Beziehung mit John nachzudenken. Ihr strapaziöser Terminplan ließ ihr kaum Zeit für jemand anders als ihre Tochter. Merkwürdigerweise schien es John nichts auszumachen. Kurz nach Shanas Geburt hatte er aufgehört, mit Lily zu schlafen. Lily hatte versucht, diesen Teil ihrer Ehe wiederaufleben zu lassen, hatte aber wenig Erfolg gehabt.
Als Shana in den Kindergarten kam, nahm sie eine Stelle bei der Bezirksstaatsanwaltschaft an. Jeden Morgen vor der Arbeit machte sie Shanas Brotzeit zurecht und begleitete sie zum Kindergarten. Die anderen Kinder und die Erzieher waren ganz vernarrt in Shana. Sie teilte ihr Spielzeug mit den anderen, sie brachte Kinder und Erwachsene zum Lachen, und mit ihren Sommersprossen und dem karottenroten Haar sah sie aus, als sei sie direkt einem Disney-Film entstiegen.
Sie war hartnäckig und zäh. Lily hatte sie dazu erzogen, sich vor nichts zu fürchten, damit sie in der Lage war, sich vor allen Widrigkeiten zu schützen. Ebenso wie sie Shana beigebracht hatte, mit anderen zu teilen und nett zu ihren Mitmenschen zu sein, so hatte sie ihr auch nahegebracht, stark, mutig und reif zu sein. »Wenn ich mal nicht da bin«, sagte Lily, »oder dein Papa nicht da ist und irgendwas Schlimmes passiert, dann musst du dich so verhalten, als wärest du erwachsen. Und du musst daran glauben, dass du alles genau wie ein Erwachsener tun kannst.« Shana blinzelte und lächelte und hielt nach Gelegenheiten Ausschau, sich ihrer Mutter zu beweisen, weil sie wusste, dass sie damit Lilys Anerkennung gewann. Lily ermunterte sie dazu, auf Bäume zu klettern, Ball zu spielen, eine Spinne zu zertreten, statt schreiend wegzulaufen, und einmal boxte sie den Nachbarshund sogar auf die Nase, als er sie anknurrte. Danach rannte sie nach Hause in die Arme ihrer Mutter und platzte schier vor Stolz. Für John und Lily war sie ein Goldkind, ein Wunder.
Mit den Jahren erkannte Shana den Zauber, den sie auf andere ausübte, und sie begann, ihn für ihre Zwecke zu nutzen. Um sich in ihrem Erfolg zu sonnen, waren Shanas Freunde bereit, ihr die Hausaufgaben zu machen und ihr Geld zu schenken oder ihr neue Kleider auszuleihen, noch bevor sie selbst die Gelegenheit gehabt hatten, sie zu tragen.
Shana begann, sich zu verändern, als sie etwa zehn Jahre alt wurde. Johns Einfluss wurde immer größer, und das Mädchen fing
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