Maedchenmoerder Ein Liebesroman
Ortsnamen und Straßennummern, als ginge ich noch zur Schule und würde morgen abgefragt. Und plötzlich das Schild: » Parc Naturel Hautes Fagnes «. Naturpark Hohes Venn. Und da wusste ich auf einmal, was mein Peiniger mit mir vorhatte.
Wieder sah ich das Mädchengesicht an der Scheibe. Der Vater, der seiner Tochter Geschichten erzählt. Von armen Torfbauern. Und unglücklich Liebenden, die versuchen, durchs Moor zu fliehen und beide versinken.
O schaurig ist’s, übers Moor zu gehen, wenn es wimmelt vom Heiderauche …
Ich wehrte mich. Doch da hatte mein Peiniger den Wagen schon auf einem Parkplatz gestoppt. Ein großes weißes Haus. Alle Fenster dunkel. Ich schrie und spürte einen stechenden Schmerz unter dem linken Ohr. Das Messer. Niemand hörte mich. Frittenbude. Telefonzelle. Wozu? Unerbittlich schleppte mich mein Peiniger vom Parkplatz weg. Ich strampelte und trat. Er fluchte, als sein Fuß vom Weg abkam und das nasse Zeug nach ihm zu schmatzen begann. In der Ferne zwei Kreuze. War das die Stelle, wo die Liebenden versunken waren? Ansonsten nichts, an dem sich mein Auge hätte festhalten können. Hier und dort ein paar steile Schatten. Bäume vielleicht. Wolkenloser Himmel. Und ein runder Mond. Der Weg brach ab. Jetzt waren es nur noch Bretter, die uns vor dem Moor schützten. Ich biss ihm in die Hand, mit einem Schrei ließ er mich los, ich rannte. Dahinten. Ein Licht. Die Bretter quietschten bei jedem Schritt. Ich spürte morsches Holz unter meinen blanken Sohlen. Hätte ich nur meine Schuhe angehabt! Es gluckste, es gurgelte. Ich stürzte hin, mein Fuß hatte sich in einem Spalt verfangen. Ich roch Moder, Feuchtigkeit kroch mir die Hose hinauf. Schon wieder war mein Peiniger über mir. Wo war das Messer? Alles, bloß nicht das Messer. Ich hörte ihn fluchen. Das Messer musste ins Moor gefallen sein! Es gelang mir, den Fuß zu befreien. Ich trat nach ihm, wieder brüllte er auf, aber diesmal hielt er mich fest umklammert. Zusammen krachten wir durch das marode Geländer, das den Steg säumte. Ich spürte Gras in meinem Gesicht, lange Halme, Büschel, Narben, und am Hals seine Hände. Ich bog den Kopf nach hinten, um nicht zu ertrinken, aber da war gar nicht viel Wasser, nur feuchtes Gras, vielleicht war es überhaupt kein Moor. Es war die Wiese hinter dem Haus meiner Großeltern. Die Wiese, auf der ich mit den Nachbarjungs in einer Weise herumtobte, die meiner Großmutter missfiel. Ich schaffte es, mich auf den Rücken zu drehen. Das Gesicht meines Peinigers war jetzt ganz dicht über mir und in diesem Moment - in diesem Moment...
Ich weiß nicht, ob ich die letzte Passage so stehen lassen kann. Ob sie die Angst, die ich in jener Nacht empfunden habe, korrekt wiedergibt. Aber wie beschreibt man im Nachhinein, was man am liebsten vergessen würde? (Und ja auch vergessen muss , um weiterzuleben!) Ich zittere am ganzen Körper, während ich dasitze und den Europa-Straßenatlas aufschlage, den ich heute Abend schnell noch gekauft habe, weil ich mir plötzlich nicht mehr sicher bin, ob wir uns tatsächlich auf der N 669 und 667 dem Hohen Venn genähert haben. Ich suche die Ortsnamen, fahre die Strecke mit dem Zeigefinger ab, und mein Zittern wird schlimmer. Was weiß diese blöde Landkarte schon von meiner Erinnerung! Dann war es am Schluss eben die N 647! Oder meinetwegen auch die N 676! Was spielt das für eine verdammte Rolle!
Es ist nicht gut, wenn ich ausraste. Schließlich will ich meine Geschichte so erzählen, dass alle sie verstehen. Und deshalb muss ich genau sein. Und ruhig bleiben.
Die Wahrheit ist, dass ich weder mir noch Ihnen noch sonst jemandem restlos erklären kann, warum ich jene Nacht im Moor überlebt habe. Mittlerweile nehme ich an, dass die Polizei, würde sie dort alles umgraben, die Leichen zumindest einiger der Mädchen finden würde, deren Unterwäsche ich im Keller meines Peinigers gesehen habe. (Es ist noch nicht endgültig entschieden, aber im Moment sieht es so aus, als ob die Polizei dort gar nichts umgraben dürfte, weil das Hohe Venn ein Naturschutzgebiet ist.)
Noch weniger erklären kann ich, warum dieser Unmensch nicht einfach alle seine Opfer im Hohen Venn versenkt hat. Welcher Mörder hat schon das Glück, ein (naturgeschütztes) Moor beinahe vor der Haustür zu haben! Wahrscheinlich wollte er, dass einige seiner Leichen gefunden werden. Später sollte ich selbst erleben, wie sehr er es auf »Publicity« abgesehen hatte. (Und letzten Endes
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