Maedchenmoerder Ein Liebesroman
Mädchen entführt und für seine Zwecke verwendet hatte. Allerdings ist mir bis heute nicht klar, ob sich in meinem Peiniger wenigstens an diesem Punkt ein letzter Rest von menschlichem Anstand regte. Oder ob er lediglich glaubte, dass man mit kleinen Mädchen unmöglich so viel »Spaß« haben könne wie mit großen.
Seine Dutroux-Erzählung ist mir deshalb in Erinnerung, weil es das erste Mal war, dass er Sätze zu mir sagte, die nicht die Anrede »F…« oder sonst eine Beschimpfung enthielten. Ihr Inhalt stieß mich jedoch nicht weniger ab. Trotzdem gelang es mir, still zuzuhören. Nur einmal rutschte mir heraus, dass mir Dutroux durchaus kein »wilder Hund« zu sein schien, sondern ein armes Würstchen. (Damals wusste ich über Dutroux eigentlich nichts außer dem, was mein Peiniger gerade erzählt hatte. Meine spätere Lektüre bestätigte mir aber, dass meine spontane Einschätzung absolut richtig gewesen war: ein feiger, schmieriger, verschlagener Kerl.) Zu meinem Erstaunen wurde mein Peiniger nicht wütend, sondern kniff mich in die Backe und sagte: »Braves Mädchen. Sollst keine Götter neben mir haben.«
Außer dass mir diese Geste so widerlich gewesen war, dass ich mir am liebsten sofort das Gesicht abgewischt hätte - was nicht ging, da meine Hände immer noch gefesselt waren und sich mittlerweile komplett abgestorben anfühlten - außer dass ich mir also am liebsten das Gesicht abgewischt hätte, hatte ich nun immerhin einen ersten Anhaltspunkt, was mit diesem Mann nicht stimmte. Er hielt sich für Gott. Und offensichtlich machte es ihn glücklich, wenn ich mich abfällig über andere Männer äußerte. Selbst wenn diese Männer für ihn eine Art Idol darstellten. Nachdem ich den Satz über Dutroux gesagt, er mich zum ersten Mal »Mädchen« genannt und in die Backe gekniffen hatte, war das Gespräch wieder verstummt.
Ich wunderte mich über eine regelmäßig auftauchende Reklame, die offensichtlich vom belgischen Verkehrsministerium bezahlt worden war: Sie zeigte ein hübsches Gesicht, das einem Mann oder einer Frau gehören mochte, hinter einer zersplitterten Autoscheibe. Dort, wo das hübsche Gesicht sein linkes Auge hatte, war ein Loch im Glas. Eigentlich sah es nicht wie ein Verkehrsunfall aus, sondern eher, als ob jemand durch die Scheibe geschossen hätte. Über dem Bild stand: » La ceinture - une seconde qui change tout .« (»Der Anschnallgurt - eine Sekunde, die alles verändert.« Zum Leidwesen meines Vaters war Französisch nie mein bestes Fach gewesen, aber für solche Sätze reicht es.)
Ich musste mich beherrschen, nicht loszulachen, denn in diesem Augenblick realisierte ich, dass mein Peiniger mich zumindest dieses Mal nicht angeschnallt hatte. (Sich selbst übrigens auch nicht.) Jetzt, wo ich es aufschreibe, kommt es mir gar nicht mehr lustig vor, aber in jener Nacht ließ mich die Vorstellung fast platzen, dass ich mit einem Mann im Auto saß, der mich aufs Schändlichste missbraucht und versucht hatte, mich zu töten - und entweder Letzteres oder Ersteres oder beides zusammen höchstwahrscheinlich bald wieder tun würde -, und irgendein belgischer Verkehrsminister machte sich Sorgen, weil ich nicht angeschnallt war!
Als wir an Charleroi vorbeikamen, fing er wieder an, mir einen Vortrag über Dutroux zu halten. (In Charleroi steht das Haus, wo dieses Würstchen seine Opfer gefangen gehalten hat.) Diesmal hörte ich allerdings nicht richtig zu, da der Schmerz in meinen Schultern mittlerweile unerträglich geworden war und ich überlegte, ob ich ihn bitten sollte, mir die Fesseln abzunehmen. Ich machte mir Sorgen, dass meine Hände absterben würden, blieben sie noch länger so fest verschnürt. Letzten Endes hielt ich den Mund. Das Ergebnis meiner Bitte wäre ja doch nur gewesen, dass er mich wieder »F…« genannt hätte. Außerdem hatte ich wenig Grund zu hoffen, dass ihn meine Schmerzen zu einer mitleidigen Tat bewegen könnten. Im Gegenteil. Wahrscheinlich würde er eher darüber nachdenken, wie sie sich noch steigern ließen. Die Tatsache, dass er mich seit einer oder zwei Stunden weder beleidigt noch geschlagen hatte, sollte mich nicht verleiten, übermütig zu werden.
Wie schon in Lüttich war die Autobahn auch hier, bei Charleroi, eine einzige Baustelle. Überall blinkte es, waren Ausfahrten gesperrt, standen verwirrende Behelfsschilder herum und waren Spuren umgeleitet. Mein Peiniger ließ sich davon nicht irritieren. (Woraus ich schloss, dass er die Strecke kannte.)
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