Maedchenmoerder Ein Liebesroman
ist ihm das ja auch zum Verhängnis geworden. Wer weiß, ob er sich nicht jetzt gerade quer durch Osteuropa morden würde, hätte er am Schluss nicht Fernseh- und andere Journalisten aus der halben Welt auf den Fersen gehabt.)
Eine Frage habe ich damals verdrängt, aber jetzt, wo ich darüber schreibe, taucht sie auf: Was passiert, wenn ein Mensch im Moor versinkt? Fühlt es sich an wie ertrinken? Oder ist es noch schlimmer, weil der Sumpf einen viel langsamer in die Tiefe zieht? Wenigstens verwest man nicht, ist man erst einmal tot. Letzten Herbst haben mich mein Vater und die Architektin (so nenne ich die Frau, mit der er jetzt zusammenlebt, weil sie angefangen hat, ihre gemeinsame Villa zu bauen, kaum dass er aus unserer alten Wohnung ausgezogen war) - letzten Herbst haben mich also mein Vater und die Architektin auf ein verlängertes Wochenende nach London mitgenommen. Und dort habe ich im Museum eine Moorleiche gesehen. Sie wirkte wie eine zusammengefaltete Mumie, die den Kopf hängen lässt. Ich glaube, es war ein Mann. Allerdings hätte auch er zu der Frage, wie es sich anfühlt, im Moor zu versinken, nicht viel beitragen können, denn wenn ich mich recht erinnere, war er zuerst umgebracht und dann ins Moor geworfen worden. Irgendeine Ritualsache, schon viele hundert oder tausend Jahre her, das weiß ich nicht mehr genau. (Natürlich könnte ich im Internet nachschauen, aber die Wohnung, die mir mein Manager hier in Berlin besorgt hat, hat noch keinen Telefonanschluss, und eigentlich finde ich das ganz gut.)
Meine Erinnerung hat einen Teil der Bilder jener Nacht gelöscht. Fast so, als sei sie das Moor geworden, das alles verschluckt, was ihm zu nahe kommt. Sicher liegen diese Bilder irgendwo in mir begraben, genauso zusammengefaltet und mit hängendem Kopf wie der Mumienmann im Londoner Museum. Meine Therapeutin sagt, dass ich versuchen muss, sie heraufzuholen. Dann würden sie einen Moment lang zwar vor mir stehen, perfekt konserviert, aber danach würden sie zerfallen - so wie es den Moorleichen ergeht, wenn sie plötzlich ans Tageslicht kommen. Doch ebenso wenig wie die Polizei ein ganzes Moor umgraben kann (Naturschutz hin oder her), kann ich in diese Abgründe meiner Erinnerung hinuntertauchen.
Das nächste Bild, das ich wieder deutlich vor mir sehe, ist, wie ich neben meinem Peiniger im Porsche sitze und wir beide verschmutzt und nass durch die Nacht rasen. In diesem Moment hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ihm die Kontrolle entgleitet. Und er sich wirklich wie ein Wahnsinniger benimmt. Alles, was er zuvor getan hatte, war grausam und pervers gewesen. Aber er war mir stets wie ein Mensch erschienen, der genau weiß, was er tut. Als er jetzt mit viel zu hoher Geschwindigkeit über die schmalen, steilen Straßen jagte, die sich die dunklen Waldhänge hinauf- und hinabschlängelten, war dieser Eindruck vorbei. Er wirkte wie jemand, der die Richtung verloren hat, der mal hier, mal dort abbiegt, rechts, links, ohne Sinn und Ziel. Am allermeisten verwirrte mich, dass wir ständig an Schildern vorbeikamen, die nach Spa wiesen, ohne diesen Ort je zu erreichen. (Später traute ich mich, meinen Peiniger auf die irre Fahrt anzusprechen. Da lachte er und erklärte mir, dass er keineswegs planlos durch die Gegend gerast sei. Instinktiv sei er der Strecke gefolgt, die er beim Training hunderte von Malen abgefahren war. Und dass es eine berühmte Strecke sei, die er mir »gezeigt« habe, irgendein Radrennen würde jedes Frühjahr genau dort entlangführen.)
In jener Nacht dachte ich einfach nur, dass er den Verstand verloren hätte. Und dies flößte mir noch mehr Angst ein. Jedes Mal, wenn er an einem kleinen Waldweg oder einer anderen Schneise abbremste, erstarrte ich, weil ich sicher war, jetzt würde er mich im Wald töten - nachdem meine »Entsorgung« im Moor auf so mysteriöse Weise gescheitert war. An das Märchen, er wolle mich freilassen, glaubte ich zu diesem Zeitpunkt endgültig nicht mehr.
Vor allem in den etwas größeren Ortschaften, durch die mein Peiniger mit derselben Geschwindigkeit fuhr wie durch den Wald, betete ich, ein Streifenfahrzeug möge auftauchen und sich an die Verfolgung machen. Nichts geschah. Dafür verriet mir die Digitaluhr einer Apotheke, dass es der 6. September und außerdem zwei Uhr siebenundvierzig war. In Normalzeit ausgedrückt, befand ich mich also seit ungefähr fünfundsiebzig Stunden in Gefangenschaft. (Wieso ich bis dahin nicht auf das Armaturenbrett des
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