Maedchenmoerder Ein Liebesroman
zwar nicht gerade unsportlich, aber glauben Sie ernsthaft, ich hätte eine Chance gehabt, einem durchtrainierten, ausgewachsenen Mann davonzulaufen? (Dass sein linkes Knie kaputt war, konnte ich damals noch nicht wissen. Auch nicht, dass er schon länger nicht mehr richtig trainiert hatte. Aber selbst wenn ich all das gewusst hätte - ich hätte verrückt sein müssen, um mich auf ein Wettrennen mit einem so sportlich wirkenden Mann einzulassen!) Und außerdem: Ja, es klingt lächerlich, und ich weiß, ich habe mich vorhin so abgebrüht gegeben. Aber irgendwie hatte ich doch die Hoffnung, er würde mich im Wald freilassen, wenn ich vorher keine Dummheiten machte.
Ich stieg also in den Porsche. Was mit auf den Rücken gefesselten Händen keine leichte Aufgabe war. Ich fragte mich, wie mich mein Peiniger in diesem Auto wohl von Köln nach Aachen befördert hatte. Vermutlich war er dreist genug gewesen, mich einfach auf den Beifahrersitz zu hocken und anzuschnallen. Und hätte ihn eine Polizeistreife gestoppt, hätte er bestimmt gesagt, seine »Nichte« habe ein bisschen zu viel getrunken. »Sie verstehen schon, Herr Polizist, Mädchen in diesem Alter...« Hinter den Sitzen gab es noch zwei kleine Einzelsitze. Doch es erschien mir höchst unwahrscheinlich, dass er sich damals auf der Bonner Straße die Mühe gemacht haben soll, meinen bewusstlosen und also schweren Körper in diesen schmalen Raum hineinzubugsieren. Und dass ich tatsächlich in den so genannten »Kofferraum«, der sich dort befand, wo normale Autos ihren Motor haben, und in den er jetzt gerade seine Sporttasche packte - dass ich tatsächlich in diesen winzigen Kofferraum hineinpassen würde, erschien mir unvorstellbar. (Ich konnte noch nicht ahnen, dass mein Peiniger mir bald das Gegenteil beweisen würde.)
Im Gegensatz zur Küche und dem, was ich vom Wohnzimmer gesehen hatte (vom Keller ganz zu schweigen), war hier im Wagen alles fast schon peinlich sauber. Keine leeren Bonbontüten oder benutzten Taschentücher, wie sie im Auto meiner Mutter herumfliegen. Auch die Scheiben waren frisch geputzt. Und die Sitze aus echtem Leder, das erkannte ich am bloßen Geruch. (Bis mir klar wurde, dass mein Peiniger ein ehemaliger Radprofi war, hatte ich ihn für einen Autohändler mit Fahrradfimmel gehalten. Keine Ahnung, warum ich ausgerechnet auf diesen Beruf gekommen bin.Vielleicht, weil der Porsche das Erste gewesen war, was ich von ihm gesehen hatte.)
Der Motor heulte auf wie ein wildes Tier, das sich in diese spießige Wohngegend verirrt hatte. Wer weiß, wie die Geschichte weitergegangen wäre, wäre ein Fenster aufgeflogen und hätte sich ein Nachbar wegen nächtlicher Ruhestörung beschwert. Vielleicht hätte sich mein Mund selbstständig gemacht und ganz allein um Hilfe geschrieen. Vielleicht wäre mir die Irrfahrt, die nun beginnen sollte, erspart geblieben. Vielleicht hätte ich das Messer zwischen den Rippen gehabt und wäre noch auf dem Autositz verblutet.
Tatsache ist, dass sich hinter den Gardinen der roten Backsteinhäuser nichts regte. Auch die Straßen waren ausgestorben. Nicht einmal eine Katze rannte vorbei. Aufgrund der Kennzeichen der geparkten Autos (AC) wurde mir zum ersten Mal klar, dass ich mich in Aachen befand. Das durchgestrichene Ortsschild »Aachen-Brand«, das wir schnell erreichten, verriet mir endlich, wo genau ich meine letzten Tage und Nächte verbracht hatte.
Kurz hinter Walheim kam uns das erste Auto entgegen. Scheinwerfer, die meine Augen blendeten. Sonst nichts. Roetgen. Monschau. Schlafende Käffer, an deren Namen ich mich vage erinnerte. Aus Zeiten, in denen unsere Familie noch eine Familie gewesen war und »Familienausflüge« unternommen hatte. Wieder und wieder kreuzten wir Bahnschienen. Dunkle Wälder flogen vorbei. Das Bild einer Dampflok stieg in mir auf. »Museumsbahn«. Ein Eis. Ein glupschendes Mädchengesicht, das Nase und Eis an die Scheiben presst und weint, als die Mutter ihm verbietet, das Eis von der Scheibe zu schlecken.
In Monschau zögerte mein Peiniger kurz, als überlege er, dem Schild nach Eupen zu folgen. Er tat es nicht. Als Nächstes: Kalterherberg. Die Grenze zu Belgien: Passiert und kaum gemerkt. Nur die Straßenschilder waren mit einem Mal anders. Keine B 258 mehr. Sondern N 669. Der Wald wurde dünner. Öde Lichtungen taten sich auf. Am Grünen Kloster. Dahinter irgendetwas Militärisches, Sperrgebiet mit schroffem Stacheldrahtzaun. Dann scharf nach rechts. Sourbrodt. N 667. Ich merkte mir
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