Maedchenmoerder Ein Liebesroman
mich, dass das Mädchen genauso lange, genauso rotblonde Haare hatte wie ich. Und dann erst begriff ich.
Vermutlich ist es ganz normal, dass man sich nicht auf Anhieb erkennt, wenn man sich unerwartet im Fernsehen sieht. In der Klinik, als sie mich jeden Tag eine halbe Stunde (unter Aufsicht von Dr. de Sousa oder einer anderen Therapeutin) haben fernsehen lassen und plötzlich ein Ausschnitt aus meinem Interview bei Beckmann gelaufen ist, habe ich mich ebenfalls zuerst darüber gewundert, wie unattraktiv das Mädchen auf dem Bildschirm war, bevor ich erkannt habe: Das bin ja ich. In der Klinik war mir jedoch wenigstens theoretisch klar, dass ich jederzeit mit mir rechnen musste. (In diesen Wochen ist ja kaum ein Tag vergangen, an dem mein Bild nicht über die Mattscheibe geflimmert ist.) In jenem Hotelzimmer in Murcia hingegen war ich im ersten Moment sicher, den Verstand verloren zu haben.
Dann sah ich ein vierstöckiges Mietshaus mit Balkonen, auf denen mickrige Grünpflanzen wuchsen, irgendwo drehte sich ein Windrad, das schon ziemlich kaputt war, und ich dachte wieder: Warum zeigen die so ein gewöhnliches Haus?
Worüber bin ich mehr erschrocken, nachdem es abermals »klick« gemacht hatte? Über die Tatsache, dass jetzt auch noch »unser« Haus im Fernsehen zu sehen war? Oder darüber, dass ich seit Jahren in solch einem armseligen Haus lebte? Was alles an mir und meinem Leben war noch so schäbig, wenn man es plötzlich von außen betrachtete?
Das nächste Bild lieferte die Antwort: Eine hässliche Frau mit strohig herabhängenden Haaren und ein alter Mann mit übertriebenem Strubbelkopf saßen auf einem Sofa. Über ihnen hing ein Ölschinken, der im Fernsehen noch grotesker aussah als in Wirklichkeit.
Ich denke, dass ich anfing zu hyperventilieren oder zu würgen oder in die Kopfkissenrolle zu beißen. Die Ohren kann ich mir jedenfalls nicht zugehalten haben, denn ich hörte meinen Vater mit der Stimme, die er sich während der Trennung von meiner Mutter zugelegt hatte, sagen: »Ich bin sicher, Sie haben Gründe für das, was Sie tun. Aber denken Sie daran, dass Julia ein Mensch ist. Unsere Tochter...« Und dann folgte eine Art Schluckauf oder Schluchzen, das meine Mutter sofort ausnutzte, um sich einzumischen: »Tun Sie meinem Kind nichts an! Ich flehe Sie an! Lassen Sie meine Julia frei!« Und dann wieder mein Vater: »Julia, falls Du das sehen kannst. Wir sind bei Dir. Wir lieben Dich.« Die Kamera muss noch einige Sekunden draufgehalten haben, wie meine Mutter heulte. Danach erklang irgendeine Reporterstimme, allerdings verstand ich kein Wort, weil es in meinem Kopf zu sehr tobte. Wieso durften meine Eltern im Fernsehen erzählen, dass ich entführt worden war? Was wusste die Polizei? Wussten Sie, dass ich mit Dir unterwegs war? Wussten sie, wo wir waren?
Als sich mein Tumult so weit beruhigt hatte, dass ich wieder hätte zuhören können, moderierte ein Schnösel in dunklem Anzug schon den nächsten Beitrag an, in dem es um eine Bombenexplosion in der Türkei ging.
Ich wäre wahnsinnig geworden, wärst Du in jener Nacht nur fünf Minuten später zurückgekommen. Auch jetzt fällt es mir schwer, über Dein verblüfftes Gesicht zu lachen, als ich stammelnd auf Dich zugeschossen kam, kaum dass Du die Tür aufgeschlossen hattest. Ich verstehe, dass Du dachtest, ich würde Dir eine Eifersuchtsszene machen, und dass Du darauf absolut keine Lust hattest. Trotzdem hättest Du, so gut wie Du mich damals bereits kanntest, schneller merken können, dass es einen echten Grund geben musste, wenn ich so außer mir war.
Allerdings bewundere ich Dich dafür, wie kaltschnäuzig Du dann reagiert hast. Wäre es nach mir gegangen, wir hätten das Hotel, in dem sie unten an der Rezeption Deinen Personalausweis kopiert hatten, auf der Stelle verlassen. Allein hätte ich es nie und nimmer fertiggebracht, auf dem Bett zu sitzen, die letzte Tüte Nüsse, die wir noch in Frankreich gekauft hatten, zu öffnen und abzuwarten, dass RTL sein Nachtjournal wiederholte. Ich selbst hatte in meiner Aufregung ja noch nicht einmal mitbekommen, dass ich mich im RTL-Nachtjournal gesehen hatte, geschweige denn hätte ich gewusst, dass RTL diese Sendung noch einmal wiederholte.
Obwohl ich vorgewarnt war, traf es mich wie ein Schlag in den Magen, als der Nachrichtenschnösel seine Sendung damit eröffnete, dass scheinbar »ein deutscher Serienmörder« eine »blutige Spur durch Südfrankreich« ziehe und dass ihm dort mindestens
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