Maengelexemplar
herrscht und dass mir das fast gar nichts ausmacht.
Anette sieht mich auf diese Anette-Art an. Ruhig, aber wissend. Und mir dämmert was. Bevor die Sonne der Erkenntnis aber richtig aufgehen kann, ist unsere Zeit vorbei. Ich scherze irgendwas Mittelwitziges zum Abschied, ernte dafür einen »Weniger Witze, mehr Gefühle«-Blick von Anette und laufe mit rotem Kopf aus der Praxis.
Draußen atme ich durch (in die Lunge, nicht in den Bauch) und zünde mir eine Zigarette an. Und dann geht sie auf, die Sonne: Ich habe gar nicht Schluss gemacht mit Philipp. Auch nicht
so gut wie
. Ich habe die Hintertür offen gelassen. Sperrangelweit. Für mich. Ich kann jederzeit zurücklatschen. Kein Wunder, dass ich nicht traurig bin.
Und schwupps, fängt er an, mir zu fehlen. Der doofe Philipp.
Scheiße.
Ich bin ziemlich gut im Interessantsein, aber nicht so gut im Interessantmachen. Also, mich interessant machen. Im Sinne von: mich rar machen. Ich bin so was von
da
, präsent, allgegenwärtig in meinem Kopf, dass ich einfach nicht so tun kann, als wäre ich es nicht. Auch nicht vor anderen. Ich bin großer Fan vom »Ruf ihn nicht an, und er wird sich melden«-Spiel, aber eben auf die gleiche Art wie ich Fan von Leuten bin, die jonglieren können: Ich finde es toll, aber ich beherrsche es selbst nicht. Und bin zusätzlich auch noch zu ungeduldig, es mir beizubringen. Ich will Erfolge. Sofort.
Wäre ich nicht so ungeduldig, könnte ich vermutlich springreiten, singen und sehr belesen sein.
You can get it if you really want.
Ich
wante
vermutlich nicht
really
genug. Auf der anderen Seite
wante
ich zumindest genug, um ordentlich unzufrieden zu sein, es nicht zu
getten
.
Die jetzt schon fünf Tage andauernde Fast-Trennung von Philipp gefällt mir inzwischen nicht mehr so gut. Ich fühle mich irgendwie heimatlos ohne ihn. Ich will wissen, was er macht, ich will, dass er weiß, was ich mache. Aber er meldet sich nicht, das heißt, dass er entweder das Spiel sehr gut beherrscht oder dass er unseren Abstand ganz gut findet. Aber das kann es ja nun unmöglich sein.
Ich beschließe einen unverfänglichen Telefonanruf.
»Hallo?«, fragt Philipp unbekümmert ins Telefon.
»Hallo!«, sage ich sehr bemüht unbekümmert zurück.
»Na?«
»Na?«
Läuft doch super bisher. Ich bin ein Idiot.
»Wie geht’s dir?«, frage ich nicht mehr ganz so unbekümmert, schließlich soll hier kein falscher Eindruck vermittelt werden.
»Ganz gut so weit. Ich habe grad Besuch. Ich koche für Jenny und Isa.«
Hey, cool.
»Hey, cool! Dann geht’s dir ja wohl echt ziemlich gut. Wenn du schon scheiß Damenbesuch empfangen kannst und sogar kochst für die Ladys. Dann ist ja alles top bei dir!«
Huch, kurz laut geworden.
»Karo ...«, mault Philipp. »Komm schon. Wir lernen zusammen, und ich hab was zu essen gemacht. Du weißt genau, dass mit den beiden nichts geht.«
Ja, das weiß ich genau. Jenny und Isa sind Kommilitoninnen von Philipp. Nett und unspektakulär. Aber das ändert nichts daran, dass ich neidisch bin. Nicht eifersüchtig, sondern neidisch. Missgünstig. Ich gönne den beiden Hühnern nicht, dass sie Zeit mit Philipp verbringen dürfen. Dass sie in seiner Nähe sein und ihn riechen können. Dieser Geruch ist für
meine
Nase. Seine schlechte Laune ist für mich! Wobei er vermutlich sehr charmant ist zu den beiden Perlen. Ist er nämlich immer zu anderen. Philipp wird sehr gern gemocht.
Ich bekomme Angst. Philipps Leben läuft einfach weiter! Er klingt erschöpft am Telefon, aber nicht traurig. Nicht so, als wenn ich ihm fehlen würde. Hilfehilfehilfe.
»Du fehlst mir«, Babystimme ist mein Notfallplan.
»Ach, Karo ...«
Ach, Karo ... was? Du fehlst mir auch? Komm sofort her und löffle mit mir? Heirate mich? Ich werde mich für dich ändern, und wir werden endlich glücklich sein? Ich warte geduldig zwei bis drei Sekunden, damit er sich für eine meiner imaginären Möglichkeiten entscheiden oder mich mit etwas anderem überraschen kann. Im Hintergrund gackern die Mädels.
Kommt garnix mehr von ihm. Ich werde panisch.
»Fehle ich dir denn gar nicht?«
»Doch Karo, aber ...« Ich kann die blöden drei Pünktchen förmlich hören. Pünktchen, die bedeuten, dass die Worte, die danach kommen, ordentlich zwiebeln werden. Ich höre also Punkte und gackernde Achtsemester und muss plötzlich dringend aufs Klo. Immer wenn ich nervös werde, muss ich aufs Klo. Deshalb nennt man das wohl nervösen Darm.
»Aber was?«, frage ich sehr ruhig.
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