Maengelexemplar
gute alte Nelson! »Im Gegenteil, Tarzan! Ich bin vollkommen gesellschaftsfähig und sehe top aus! Ich bin einer schönen Magersucht so nah wie nie, und wenn ich was mit Rollkragen anziehe, wird man die Schrauben in meinem Hals kaum sehen!«
»Na, dann wasch dir das Gesicht und begleite mich auf eine schlimme Party vom Sender! Da werden sehr viele doofe Typen sein, aber wenn du Glück hast, kannst du bei der Tombola das Produkt des Monats gewinnen!«
»Den Fliesenreiniger?«
»Besser!«
»Diese Obstschneidemaschine, die so lustige Rillen in die Möhren macht?«
»Karo! Besser!«
»Jetzt sag es schon!« Ich bin wirklich aufgeregt. Ich werde auf eine Party gehen
und
tollen unnötigen Quatsch gewinnen!
»Karo, dir ist schon klar, dass ich nicht beeinflussen kann, wer die Tombola gewinnt?«, durchkreuzt Nelson meine Gedanken.
Ich mache mich niedlich. Das erste Mal seit Monaten gebe ich mir richtig Mühe mit meinem angenehm mittelmäßigen Aussehen. Ich wasche, rubbele, rasiere und creme meinen Körper. Ich drehe Locken und male schöne Augen. Ich pinsele Lippen und Bäckchen, sodass ich ganz gesund und frisch aussehe. Ich mache Experimente mit Parfum und ziehe unbequeme hübsche Unterhosen an. Ich mache auch vor hohem Schuhwerk nicht halt. Mein Körper soll sich besonders fühlen. Er soll einen ganzen Abend lang so tun dürfen, als würde er nicht von einer kaputten Schaltzentrale gesteuert.
Nelson holt mich mit dem Taxi ab und sagt: »Heul mal bitte, sonst erkenn ich nicht, ob du es wirklich bist!«
»Danke!«, sage ich, ernsthaft erfreut über das Kompliment, und wir steigen ins Taxi. Zum Warmwerden spielen wir eine leichte Version des Trennungsspiels, das damit endet, dass ich am Ziel, dem Shoppingsender, aufgebracht aussteige und Nelson gut hörbar zuzische, dass ich ihm die Affäre mit meiner Mutter nie verzeihen werde. Nelson steigt aus, nachdem er gezahlt und der Taxifahrer ein bisschen unangenehm berührt gelacht hat, und findet, dass ich fast wieder die Alte bin. »Das wollen wir doch nicht hoffen«, sage ich und bin trotzdem ein bisschen stolz.
Ich funktioniere noch. Gut.
Diese lustigen Typen vom Fernsehen, immer für eine Überraschung zu haben! Die Party findet nicht etwa auf der Dachterrasse des Senderhauses oder in der Cafeteria statt, sondern im Studio! Ein riesiger tiefschwarzer Raum, der in sechs verschiedene Fernseh-Sets aufgeteilt ist. Eine Küche, ein Hobbykeller, ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, ein Badezimmer und ein Weihnachtszimmer. Quasi eine Wohnung ohne tragende Wände. Ein Loft! Jedes der Sets hat eine Rückwand mit Fenster und Ausblick: auf die Berge Kanadas, auf New York City und die Mecklenburgische Seenplatte.
»Und was soll die Wohnung kosten?«, frage ich Nelson.
»Warm oder kalt?«
»Warm. Und besteht die Chance, die Möbel zu übernehmen?«
»Na, da werde ich nochmal mit der Vormieterin sprechen müssen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das ein Problem ist. Wann wollen Sie einziehen?«
»Also wenn es nach mir und meinem Mann geht, sofort! Die Wohnung ist ein Traum!«, seufze ich dramatisch und lasse mich in den riesigen Ohrensessel im Wohnzimmer-Set fallen.
»Im Ernst, Nelson, was soll das Weihnachtszimmer-Set? Es ist Herbst!«
»Ach, wir zeichnen da die ganzen Weihnachtsprodukte-Shows auf. Die Hersteller haben den Kram schon vor Monaten geschickt, und uns kommt es entgegen, dann haben wir um Weihnachten rum nicht so viel zu tun.«
Plötzlich wird Nelson ganz seriös, das passiert ihm schnell, wenn er beruflich unterwegs ist. Ich glaube, dass das auch seinen Erfolg ausmacht. Im Shoppingfernsehen wollen die Menschen keinen flapsigen Jungmoderator. Sie wollen am liebsten Günther Jauch. Da das nicht geht, soll der Moderator ihren Wunschschwiegersöhnen so ähnlich wie möglich sein. Zumindest ist das meine Theorie. Und Nelson kann irrsinnig schwiegersohnesk sein.
»Komm, zeig mir dein Zimmer-Set!«, dränge ich Nelson. Vermutlich gehe ich ihm ein bisschen auf den Geist, aber ich finde es aufregend, in einem Fernsehstudio zu sein, ich möchte am liebsten in jedem Set eine kleine Testmoderation machen. Nelson muss aber erst mal alle Chefs und Moderationskollegen begrüßen. Dafür habe ich Verständnis. Wir verschieben die ausgiebige Wohnungsbegehung auf später, und ich sehe mich ein bisschen um. Die Sets sind wie Stände auf dem Weihnachtsmarkt im Kreis an den Studiowänden entlang angeordnet. Die Mitte des großen Raumes ist frei von Arbeitsgeräten.
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