Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Maengelexemplar

Titel: Maengelexemplar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Kuttner
Vom Netzwerk:
aber man wusste genau, wo man sich Appetit holt, und wo gegessen wird.
    Im »Heidewitzka« auf jeden Fall nicht, da gab es nämlich nur Salzstangen und aufgeplatzte Bockwurst. Für einen echten traurigen Mann ist das natürlich nur ein Snack, keine richtige Mahlzeit. Man war auch nicht hier, um zu essen, sondern um zu jammern. Ich liebte die Stammgäste.
    Dann kam die alte Schlampe Ironie und machte alles kaputt. Plötzlich erkoren junge Männer das »Heidewitzka« zu einem Ort, der
so uncool ist, dass er schon wieder cool ist,
und sie kamen in Scharen. Sie brachten Frauen mit Tätowierungen mit, und vor allem Bedürfnisse. Mit der Zeit gab es Kickertische, Cappuccinos, isotonische Trendgetränke und sogar eine Speisekarte. Die alten traurigen Männer mit Problemen verloren gegen die jungen glücklichen Männer mit Geld. Umsatz schlägt Seele im großen Marktwirtschafts-Schnick-Schnack-Schnuck.
    Sie sind immer noch da, die Alten. Aber sie sind weniger, sitzen in Ecken und fühlen sich älter und überflüssiger denn je. Dabei sind sie der einzige Grund, warum ich noch hier arbeite. Um ihre H-Milch-Augen für einen kurzen Moment zum Glänzen zu bringen, wenn ich ihnen ihr Pils serviere und dann den Hintern ein klitzekleines bisschen rausstrecke, damit sie draufklapsen können.

Ich kann inzwischen gut ohne Philipp. Wir haben weiterhin seltenen und gleichgültigen Kontakt, »wiegehtsdirmirgehtsgutdankeundselbst«-Kontakt.
    Er fehlt mir nicht,
es
hingegen sehr. Nicht der Sex, sondern jemanden zu haben, zu streicheln und zu nerven. Ich finde nichts schöner als jemanden, der sich einfach nicht von mir nerven lässt, selbst wenn ich mich sehr anstrenge. Das ist meine Definition von Romantik. Und ich kann wirklich fürchterlich nerven. Wenn ich beispielsweise abends nicht einschlafen kann, fange ich an, zu singen. Um mich, aber auch die schlafende Person neben mir zu unterhalten. Ich singe dann die größten Hits der Neunziger. Der Mann meiner Träume würde mitsingen und ein Luftinstrument seiner Wahl dazu spielen. So jemand fehlt mir.
    Denke ich und sitze zu Hause. Was der springende Punkt ist, denn selbst die lässigsten Duettpartner klingeln nicht wahllos an fremden Türen. Also muss ich raus.
Unter Menschen.
Wie ich das hasse.
    Ich bin kein guter Ausgeher. Ich tanze nicht, ich trinke nur. Man sieht mich also in Diskotheken immer nur mit einem Quatschgetränk am Tanzflächenrand stehen. Dort sehe ich den Tänzern zu und analysiere sie. Das ist natürlich total armselig. Vor ein paar Jahrzehnten war man mit dieser Einstellung noch eine ziemliche Bombe. Unnahbar, cool. Heute ist man einfach uninteressant. Die Genies im Hintergrund zählen nicht mehr. Und die diversen Tanzlokalitäten unterstützen den Aufmerksamkeitsfetisch des Volkes voll und ganz und grenzen die Genies im Hintergrund mit Hilfe von Licht einfach aus. Es werden nur noch die zuckenden Leiber auf der Tanzfläche beleuchtet. Ein bisschen wie bei einer Porno-Live-Show: Die Starrer dürfen zwar sehen, aber nicht gesehen werden.
    Also gehe ich schon lange nicht mehr in Clubs. Allerdings ist jetzt alles anders und alles neu, die Klinken müssen geputzt werden, bevor ich damit Türen öffnen kann. Ich muss Promo für mich machen, also rufe ich alte Agenturfreunde an, damit sie mich für irgendwelche von ihnen organisierten Partys auf die Gästeliste setzen. Und weil man sich in dieser meiner Branche auf die gleiche Weise liebt, wie heiße junge Bräute alte reiche Männer lieben, heißt es: »Ach, Karo, schön von dir zu hören, wie geht’s dir denn? Du, leider kann ich dich nicht auf den Medientreff bringen, diesmal wird da die Hölle los sein, Thomas Gottschalk hat sich nämlich angekündigt. Kannst dir ja vorstellen, dass plötzlich alle kommen wollen!« Nee, kann ich ehrlich gesagt nicht, aber auf der anderen Seite möchte ich auch meinen Enkeln nicht erzählen müssen, dass ich ihren Opi auf einer Party mit Thomas Gottschalk kennengelernt habe. Also sage ich tapfer: »Trotzdem danke, und grüß die anderen von mir. Falls ihr mal jemanden braucht, ihr habt ja meine Nummer!« Ich lege auf und gebe mir selbst eine Backpfeife. Die habe ich mir redlich verdient, denn so einen blöden Medienrotz wollte ich
nie
in meinem Leben sagen.
    Bevor ich mich auch noch über das eigene Knie legen kann, um mir den Hintern zu versohlen, ruft Nelson an: »Ey, Püppi! Heulst du immer noch den ganzen Tag, oder kann man mit dir schon wieder richtig unter Menschen gehen?« Der

Weitere Kostenlose Bücher