Maengelexemplar
Ich nehme an, dass sich hier normalerweise Kameras und Schminkefrauen und Aufnahmeleiter aufhalten und in die verschiedenen Zimmer reinbrüllen und -filmen. Jetzt befinden sich aber in der Mitte ein Buffet und Partygäste. Kaum einer turnt in den Sets herum. Daraus schließt Sherlock Herrmann, dass es sich um eine reine Mitarbeiterparty handelt. Jeder von denen hat schon mal im Weihnachtszimmer gesessen und elektrisch beleuchtete Baumkugeln angefasst. Kurz befürchte ich, dass es vielleicht unpassend oder gar verboten sein könnte, im Badezimmer-Set auf der Toilette zu sitzen und sich mit dem flauschigen Sechs-Lagen-Klopapier den klebrigen Lipgloss abzutupfen, aber ich verwerfe den Gedanken schnell, als sich jemand in den Zehn-Düsen-Whirlpool neben mir legt.
»Ich weiß wirklich nicht, ob unsere Beziehung schon so weit ist, dass wir voreinander pinkeln sollten«, sagt er.
»Solange du nach deinem großen Geschäft keinen ordnungsgemäßen Gebrauch von der Klobürste machst, pinkle ich weiterhin bei offener Tür!«, gage ich reflexartig zurück und erschrecke. Schnelligkeit ist nicht immer ein klarer Vorteil, vielleicht habe ich soeben den Senderchef der Bremsspuren bezichtigt. Mein Gegenüber grinst und knöpft sein Hemd auf. Männer, die ihr Hemd aufknöpfen, finde ich schrecklich. Es ist eine allzu männliche Geste, die demonstrieren möchte, dass man zwar so wichtig ist, ein Hemd zu tragen, dennoch leger genug, um fünfe grade und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen. Hemden sind dazu da, in Würde und bis oben hin zugeknöpft getragen zu werden. Wer das nicht drauf hat, soll doch bitte T-Shirts oder Netzhemden tragen.
Ich stehe auf, um instinktiv zu spülen und zu gehen, da bemerke ich, dass mein Badezimmer-Set-Partner sein Hemd vollständig aufgeknöpft hat und dabei ist, es auszuziehen. Ich bin fasziniert und setze mich wieder. Völlig unbekümmert zieht er auch seine Hose aus und liegt in Boxershorts und Schuhen in der Wanne.
»Da sind wir beide nun seit vier Jahren verheiratet und haben es bis heute nicht einmal in der Wanne gemacht«, sagt er eingeschnappt. Toll, jemand zum Spielen!, denke ich.
»Schatz, bitte sei nicht enttäuscht, aber ich bekomme wieder meine Migräne. Ich werde mich ein wenig hinlegen«, sage ich und gehe mit wackelndem Hintern ins Schlafzimmer-Set und lege mich auf das riesige Bett.
Nur in Unterwäsche folgt mir mein neuer Sandkastenfreund. »Migräne, Migräne! Wie oft musste ich mir das schon anhören, du frigide Kuh!« Er lässt sich neben mich aufs Setbett fallen.
Da liegen wir nun. Er in Unterwäsche, ich in meinem unzuverlässigen Körper. Als wäre die Party nur eine Fernsehserie auf einem großen Flachbildschirm, reden wir über das schlechte Programm. Ich weiß nichts von meinem neuen Ehemann, außer dass er David heißt. Wir reden nicht darüber, was er macht und was ich mache und zu wem wir gehören und warum wir überhaupt hier sind. Wir sind seit vier Jahren verheiratet, da führt man solche Gespräche nicht mehr. Als uns das Party-Fernsehprogramm zu langweilig wird, wechseln wir von Set zu Set. In jedem Zimmer spielen wir Moderatoren, immer abwechselnd sind wir Jack und Bob. Außer im Wohnzimmer, da sind wir Diane und Bob, denn Jack könnte nie im Leben so überzeugend die wunderschönen Porzellanpuppen verkaufen wie Diane. David und ich sind sehr konzentriert bei der Sache. Wir nehmen unsere Rollen ernst und geben uns große Mühe, die Mikrofaser-Bettwäsche und den Bio-Rohrreiniger an den Mann zu bringen. Während David mit meiner Unterstützung dem unsichtbaren Fernsehpublikum zeigt, wie leicht man Roastbeef mit dem neuen Edelstahlmesserset schneiden kann (»Das Messer geht durch das faserige Fleisch wie Butter, meine Damen und Herren!«), läuft Nelson am Küchen-Set vorbei. Er macht unser
Soll ich dich retten?
-Geheimzeichen, aber ich grinse und schüttele den Kopf.
Danke, Hase, mir geht’s gut hier. Und nun misch dich wieder unters Volk, ich bin schließlich mitten in einer Live-Sendung.
Er freut sich und geht zum nächsten langweiligen Mitarbeiterpartyteilnehmer. Er ist manchmal gern langweilig, und auf solchen Partys müssen sicher auch Kontakte geknüpft werden oder so. An seinen roten Bäckchen sehe ich, dass er schon ein paar Getränke hatte, also ist alles gut.
Schließlich landen David und ich erschöpft von unserem Live-Show-Marathon im Weihnachtszimmer-Set. »Ich hol mir was zu trinken, soll ich dir was mitbringen?«, fragt er.
»Nein
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