Maenner fuers Leben
sieht.
Außerdem – als ich in der ehrenhaften Rolle der Geschenk-Stenographin neben Margot auf dem Sofa saß, hatte ich ein Gefühl der Zugehörigkeit, und ich war stolz darauf, eine Graham zu sein. Andys Frau. Margots Schwägerin. Stellas Schwiegertochter.
Eine von Stellas Nachbarinnen fragte mich, wo meine Eltern lebten, und ich musste in einem Sekundenbruchteil entscheiden, ob ich erklären sollte, dass mein Dad noch in meiner Heimatstadt Pittsburgh wohnt und meine Mutter vor Jahren verstorben ist. Stella, die Königin der Geistesgegenwart und des Takts, drückte mir sanft die Hand, und sie antwortete mit völliger Selbstverständlichkeit:
«Ellens Vater wohnt in Pittsburgh – immer noch in dem Haus, in dem sie aufgewachsen ist! Das haben sie und Margot gemeinsam.» Das Licht aus Ginnys Kristallkronleuchtern funkelte auf ihrem Diamantring. Ich warf ihr einen dankbaren Blick zu und war erleichtert, weil ich die Erinnerung an meine Mutter nicht unter Wert verkaufen musste. Denn mein Publikum hätte mich mit tränenfeuchten Augen angesehen, und ich hätte ihnen dann ihre Bestürzung nehmen müssen: «Oh, das ist okay. Ist schon lange her.»
Denn obwohl es schon lange her ist, wird es niemals wirklich okay sein.
Als ich jetzt darauf warte, dass Andy mich nach seinen sechsunddreißig Löchern auf dem Golfplatz abholt, überkommt mich ganz unerwartet eine große Traurigkeit, weil ich mit Margot, Ginny und ihren beiden Müttern dasitze. Wir trinken noch mehr Champagner und betreiben die nach jeder Party übliche Obduktion: Wir hecheln alles durch – das beste Geschenk (einen leuchtend grünen Bugaboo-Kinderwagen von Margots Tennisfreundinnen), das schändlichste Geschenk (eine Steppdecke, deren Überbringerin nicht gemerkt hat, dass der Name ihrer Tochter, Ruby, eingestickt war), den bestgekleideten Gast (in einem klassischen Chanel-Kostüm), den am schlechtesten gekleideten Gast (ein gehäkeltes, magentarotes Träger-Top mit einem schwarzen BH), und es gibt entsetzte Spekulationen darüber, wer um alles in der Welt wohl Ginnys Esszimmerstuhl mit Merlot bekleckert hat.
«Wenn ich doch bloß die Nanny Cam eingeschaltet hätte», sagt Ginny. Sie kichert und stolpert auf ihren hohen Absätzen, bevor sie auf einen Stuhl mit Leopardenmuster plumpst.
Ich muss lächeln. Ginny ist viel erträglicher – beinahe liebenswert –, wenn sie betrunken ist und nicht dauernd posiert und zu beweisen versucht, dass sie Margot so viel näher steht als ich. Sie ist immer noch ein Miststück mit einem erstaunlichen Anspruchsdenken, aber jetzt ist sie immerhin ein unbefangenes Miststück mit einem erstaunlichen Anspruchsdenken.
«Hast du wirklich so ein Ding?» Stella späht zur Decke.
«Man nennt es aus gutem Grund versteckte Kamera», witzele ich. «Der Babysitter soll ja nicht merken, dass jemand zuschaut.» Ich spiele mit einem gelben Geschenkband. Ich könnte die Mülltüte mit dem Geschenkpapier eigentlich mit nach Hause nehmen, denn Margot hat ihre Geschenke sehr behutsam ausgepackt. Aber angesichts meiner inneren Zerrüttung hat es wohl wenig Sinn, wenn ich mich auch noch mit der Rettung von Geschenkpapier beschäftige.
«Natürlich hat sie eine Nanny Cam, Stell», sagt Ginnys Mutter Pam und zeigt auf ein künstliches Blumenarrangement auf dem obersten Bord eines eingebauten Bücherregals. Subtil lässt sie damit erkennen, dass sie allen eine Nasenlänge voraus ist, was weltliche Güter angeht. «Und Margot sollte sich auch eine installieren lassen … bei einem Neugeborenen, und bei all den Babyschwestern und dem übrigen Personal, das dann ein- und ausgeht.»
Innerlich winde ich mich immer bei dem Ausdruck «Personal». Damit sind alle Hausangestellten vom Gärtner zum Kindermädchen bis zu den Haushälterinnen, Poolreinigern und, in Pams Fall, Fahrern gemeint (sie ist seit zweiundzwanzig Jahren nicht mehr selbst auf einem Highway gefahren, und das erfüllt sie mit einem bizarren Stolz). Ob sie über ihr Personal meckern oder damit angeben – es ist für mich ganz sicher das schlimmste Gesprächsthema in Margots Welt, neben den Themen «die Privatschulen unserer Kinder» und «Spenden-Galas» (die häufig Spenden-Galas für die Privatschulen ihrer Kinder sind).
«Hast du denn jemals eine dabei erwischt, dass sie … etwas getan hat?», fragt Stella mit großen Augen. Ich stelle fest, dass meine Schwiegermutter, die sonst so dynamisch ist und alles unter Kontrolle hat, in Gegenwart ihrer aufdringlichen,
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