Maenner fuers Leben
Morgen erwische ich Suzanne auf der Fahrt zum Flughafen und erzähle ihr das letzte Kapitel in der scheinbar endlosen Leo-Saga. Als die Stelle mit Margot kommt, ist sie erwartungsgemäß empört.
«Was glaubt sie eigentlich, wer sie ist?», fragt sie.
Ich habe gewusst, dass meine Schwester sich hauptsächlich auf Margot konzentrieren würde. Das ärgert mich, und ich habe das Gefühl, ich muss Margot in Schutz nehmen. «Ich weiß», sage ich. «Sie hätte es mir sagen müssen. Aber ich glaube, sie wollte wirklich nur mein Bestes.»
«Sie wollte das Beste für ihren Bruder.» Suzanne klingt angewidert. «Nicht für dich.»
«Das ist doch dasselbe.» In den besten Beziehungen, denke ich, sind die Interessen beider Partner vollständig und untrennbar miteinander verflochten. Und trotz unserer Probleme möchte ich gern glauben, dass Andy und ich noch immer auf diese Weise verbunden sind.
«Das ist nie dasselbe», sagt Suzanne unerbittlich.
Ich wärme meinen Kaffee zum zweiten Mal auf und denke über ihre Behauptung nach. Wer hat recht? Bin ich zu idealistisch, oder ist Suzanne nur verbittert?
«Außerdem», sagt sie jetzt, «wer ist sie denn, dass sie den lieben Gott spielt?»
«So würde ich es kaum nennen», sage ich. «Es handelt sich ja nicht um Euthanasie. Sie hat mich einfach beschützt –»
Suzanne fällt mir ins Wort. «Dich beschützt? Wovor?»
«Vor Leo», sage ich. «Und vor mir selbst.»
«Dann hättest du dich für Leo entschieden?», fragt sie beinahe frohlockend.
Ich bin frustriert und wünsche mir, Suzanne könnte in solchen Situationen weniger voreingenommen sein. Mehr wie unsere Mutter, die immer zuerst das Gute in den Menschen sah und die Dinge von ihrer positiven Seite betrachtete. Aber vielleicht hat gerade der Tod unserer Mutter Suzanne so werden lassen, wie sie ist; vielleicht erwartet sie deshalb immer das Schlimmste und glaubt eigentlich nie, dass etwas gut ausgehen kann. Ich schiebe diese Gedanken beiseite, als mir klarwird, wie oft der Tod meiner Mutter Dinge kompliziert, die eigentlich sehr wenig mit ihr zu tun haben. Wie sehr sie alles beeinflusst, obwohl sie nicht mehr da ist. Gerade weil sie nicht mehr da ist.
«Ich würde gern glauben, dass ich nicht zu ihm zurückgegangen wäre.» Ich will ehrlich zu meiner Schwester sein – und zu mir selbst. «Aber ich weiß es nicht. Vielleicht wären meine Gefühle für Leo zurückgekommen, sodass ich die Beziehung zu Andy vermasselt hätte. Ich hätte vielleicht einen schrecklichen Fehler begangen.»
«Bist du sicher, dass es ein Fehler gewesen wäre?»
«Ja.» Ich denke an einen uralten Tagebucheintrag, den ich kürzlich gelesen habe – etwa aus der Zeit, als Andy und ich unsere ersten Dates hatten und als Leo zurückkam. Ich zögere kurz, aber dann erzähle ich Suzanne davon. «Ich war so glücklich, dass ich eine gesunde, stabile, ausgeglichene Beziehung hatte.»
«Das hast du geschrieben?», fragt sie. «Diese Worte hast du benutzt?»
«Mehr oder weniger.»
«Gesund und stabil, hm? Das klingt … nett.» Suzanne will offenbar andeuten, dass «nett» bei einer Beziehung nicht besonders erstrebenswert ist. Dass «leidenschaftlich» unter allen Umständen besser ist als «nett».
«‹Nett› wird oft unterschätzt», sage ich und denke, dass vermutlich die meisten Menschen heilfroh über eine nette Beziehung wären. Und in letzter Zeit würde ich mich auch damit zufriedengeben.
«Wenn du meinst», sagt Suzanne.
Ich seufze. «Es ist besser als das, was ich mit Leo hatte.»
«Und was hattest du mit ihm?»
«Aufruhr», sage ich. «Sorge … Unsicherheit … Alles fühlte sich bei Leo so anders an.»
«Inwiefern anders?», bohrt sie nach.
Ich öffne die Hintertür und setze mich mit meinem Kaffee auf die oberste Verandastufe. Ich suche nach einer Antwort auf ihre Frage. Aber immer wenn ich versuche, sie in Worte zu fassen, habe ich das Gefühl, ich verkaufe Andy unter Wert, weil ich so etwas sagen will wie: Es gibt einen Unterschied zwischen Leidenschaft und platonischer Liebe. Aber das wäre falsch. Tatsächlich haben Andy und ich noch letzte Nacht miteinander geschlafen – es war fabelhafter Sex, und ich habe die Initiative ergriffen, nicht aus Schuld- oder Pflichtgefühl, sondern weil er so unwiderstehlich aussah in seinen Boxershorts neben mir im Bett. Ich habe seinen vom Golf sonnengebräunten Hals geküsst und seine straffen Bauchmuskeln bewundert, die aussehen, als wäre Andy noch ein Teenager. Andy hat mich auch
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