Maenner fuers Leben
Mal.
Kurz, wir waren völlig im Einklang miteinander, unersättlich und krankhaft verrückt vor Lust und Liebe. So sehr, dass es aussah, als sei das alles zu gut, um wahr zu sein. Deshalb hätte es mich nicht überraschen sollen, dass es tatsächlich zu gut war, um wahr zu sein.
Ich kann nicht genau sagen, wann es passierte, aber unsere Beziehung hatte ungefähr ein Jahr gedauert, als etwas sich veränderte. Es war nichts Dramatisches – kein Bruch wegen einer bedeutsamen Lebensfrage, kein großer Streit mit hässlichen Worten, die nicht zurückgenommen werden konnten. Keiner betrog oder belog den anderen oder zog ans andere Ende des Landes oder stellte eine ultimative Forderung bezüglich des Verlaufs unserer Beziehung. Es gab nur eine kleine Verschiebung, die ich nicht genau definieren konnte, eine lautlose Verlagerung der Macht. So subtil, dass ich eine Zeitlang dachte, ich sei nur paranoid – typisches Reaktionsmuster, wenn man von jemandem emotional abhängig ist, obwohl ich mir immer eingebildet hatte, nicht abhängig zu sein. Aber nach einer Weile wusste ich, dass die Stimmung zwischen uns sich tatsächlich verändert hatte. Leo liebte mich immer noch; er sagte es mir, und er hätte es nie gesagt, wenn er es nicht so gemeint hätte. Aber unser Verhältnis geriet eindeutig in Schieflage. Vielleicht nur ein kleines bisschen, aber so ist es in der Liebe: Auch die kleinsten Veränderungen sind sofort sichtbar. Details – zum Beispiel, dass er mich nicht mehr sofort zurückrief, sondern ein paar Stunden wartete, manchmal sogar den ganzen Tag. Er fing wieder an, regelmäßig mit seinen Jungs auszugehen, und er wurde Mitglied in einer Eishockeymannschaft, die samstags abends spielte. Wir sahen abends fern, statt uns zu unterhalten, und manchmal war er zu müde für Sex – unvorstellbar in den ersten Tagen, als er mich manchmal mitten in der Nacht weckte und mich überall berührte. Und wenn wir doch miteinander schliefen, fühlte ich mich ihm nachher allzu fremd – es trat eine Distanz zwischen uns, wenn er mir den Rücken zudrehte oder ins Leere starrte, ganz verloren in seinen eigenen Gedanken, an einem anderen, geheimnisvollen Ort.
«Woran denkst du gerade?», fragte ich dann, eine Frage, die wir einander früher bis zum Überdruss gestellt hatten und die dann bis ins letzte Detail beantwortet worden war. Eine Frage, auf die er jetzt anscheinend gereizt reagierte.
«An nichts», sagte er knapp.
«An nichts?» Das ist unmöglich, dachte ich. Man denkt immer an irgendetwas.
«Nein, Ellen. An nichts », antwortete er, und erschrocken nahm ich zur Kenntnis, dass er mich nicht mit dem gewohnten Kosenamen «Ellie» anredete. «Manchmal denke ich einfach an nichts .»
«Okay», sagte ich dann wohl, entschlossen, ihm seinen Freiraum zu lassen und cool zu bleiben, und die ganze Zeit analysierte ich unermüdlich jede seiner Handlungen und spekulierte darüber, was wohl nicht stimmte. Ging ich ihm auf die Nerven? Entsprach ich nicht seinem Ideal? Empfand er immer noch etwas für seine Ex-Freundin, eine israelische Malerin, die sechs Jahre älter war als er (und damit um ein ganzes Dutzend Jahre erfahrener als ich)? War ich im Bett so gut wie sie? Liebte er mich so sehr wie sie früher – und, was noch wichtiger war, liebte er mich so sehr, wie er mich früher geliebt hatte?
Anfangs stellte ich mir alle diese Fragen im Stillen, aber nach und nach traten sie an die Oberfläche, und manchmal mitten in einem hitzigen Streit, dann wieder, wenn ich frustriert in Tränen ausbrach. Ich verlangte Zusicherungen, nervte ihn mit Fragen, trieb ihn in die Enge und fing wegen allem und nichts Streit an. Eines Abends, als ich allein in seiner Wohnung war, schnüffelte ich sogar in seinen Schubladen herum und las ein paar Seiten aus seinem Tagebuch – diesem heiligen Buch, voller Visitenkarten und Zeitungsausschnitte, Fotos und Betrachtungen. Dieses Buch nahm er überallhin mit, und jedes Mal, wenn er es aufklappte, empfand ich tiefe Liebe zu ihm. Heimlich in dieses Buch zu sehen, war ein großer Fehler – nicht, weil ich etwas fand oder nicht fand, sondern weil ich danach einen entsetzlichen dumpfen Schmerz empfand, fast ein Gefühl der Schmutzigkeit. So eine Frau war ich jetzt. So ein Paar waren wir geworden. Ich bemühte mich, nicht weiter daran zu denken, einfach stur weiter geradeaus zu gehen, aber an dem, was ich getan hatte – wozu er mich gebracht hatte –, kam ich nicht vorbei. Also knickte ich ein paar Tage
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