Maenner fuers Leben
Überzeugung. «Da hast du’s doch.»
Drei Stunden später, nachdem Suzanne und ich im Flughafen an einer Fastfood-Bar eilig zu Abend gegessen und uns vor der Sicherheitskontrolle verabschiedet haben, steige ich mit einem Schmerz in der Brust und dem bohrenden Gefühl, etwas Unerledigtes zurückzulassen, ins Flugzeug. Ich lasse mich auf meinen Fensterplatz in der vorletzten Economy-Reihe nieder und höre kaum zu, als die Flugbegleiterin etwas von der begrenzten Aufnahmefähigkeit der Gepäckfächer herunterleiert. Ich lasse mir die Ereignisse des Tages durch den Kopf gehen, besonders das sehr abrupte Ende meiner letzten Begegnung mit Leo. Rückblickend wünschte ich, ich hätte Suzanne einfach gesagt, ich brauchte ein bisschen mehr Zeit mit ihm. Es wäre zweifellos heikel gewesen, eine solche Bitte zu äußern, aber eine Stunde – oder auch nur eine halbe – wäre eigentlich genug gewesen, um unser verstörendes Gespräch über unsere Trennung zu einem Abschluss zu bringen.
Ich bereue nicht, wie mein Leben sich entwickelt hat, aber das ändert nichts daran, dass ich meine intensive Beziehung zu Leo verstehen will, sie und jene turbulente Zeit zwischen Jugend- und Erwachsenenalter, als jedes Gefühl roh und belebend und furchterregend war – und warum diese Gefühle plötzlich alle wieder zurückkommen.
Rasch versuche ich, Andy anzurufen, um ihm zu sagen, dass wir pünktlich starten, aber er meldet sich nicht. Ich hinterlasse eine Nachricht: Das Shooting sei gut gelaufen, ich liebe ihn und sehe ihn morgen früh. Dann richte ich meine Aufmerksamkeit auf den Strom der Passagiere, die im Gänsemarsch durch den Gang kommen, und bete zum Himmel, dass der Mittelplatz neben mir frei bleiben möge – oder dass ich zumindest einen ordentlichen ruhigen Nachbarn bekomme. Aber eine Sekunde später steht ein dicker, schlampiger Mann vor mir, der deutlich nach Alkohol und Zigaretten riecht. Er hat eine vollgestopfte Segeltuchtasche, eine Tüte von Burger King und eine «Mountain Dew»-Flasche mit einer fragwürdigen bernsteinfarbenen Flüssigkeit bei sich.
«Hallooo!», blökt er. «Anscheinend sitze ich neben Ihnen!»
Der Schnapsdunst und das mitgebrachte Getränk lassen ebenso wie die rotgeränderten Augen ziemlich deutlich erkennen, dass er bereits betrunken ist – oder sehr dicht davor. Mir steht eine lange Nacht bevor: er wird mich mit seinen zahlreichen Cocktails vollkleckern, sich überschwänglich entschuldigen, ungeschickt versuchen, das Malheur von mir abzuwischen, um mit mir dann auch noch ein Gespräch anzufangen. Meine einzige Chance, Ruhe vor ihm zu haben, besteht darin, dass ich ihn sofort zum Schweigen bringe und jede Interaktion im Keim ersticke. Also gebe ich keine Antwort und zwinge nur ein winziges, höfliches Lächeln hervor, während er auf seinen Sitz plumpst und sich sofort hinunterbeugt, um seine dreckigen Tennisschuhe und fleckigen Röhrensocken auszuziehen. Seine fleischigen Arme mit den schorfigen Ellenbogen kommen mir aufdringlich nah.
«Junge! Diese Hot Dogs sind wirklich scharf», verkündet er, nachdem er seine Schweißfüße freigelegt hat. Dann bietet er mir seine Frittenschale an. «Wollen Sie auch?»
Ich unterdrücke einen Würgeanfall, sage, nein, danke, und dann setze ich sofort die Kopfhörer auf und drehe mich zum Fenster. Ich schalte den Kanal mit klassischer Musik auf die volle Lautstärke, schließe die Augen und versuche, an etwas anderes zu denken als an Leo. Nachdem ich noch eine Viertelstunde lang immer wieder von dem Typen angeschubst worden bin, merke ich, wie das Flugzeug über die Startbahn rollt und immer schneller wird, bevor es übelkeiterregend nach hinten kippt. Wir steigen in die Luft, und ich umklammere die Armlehnen mit einem Todesgriff und halte mich irrational fest, während ich Bilder von Flammen und zerfetztem Stahl aus meinem Kopf vertreibe. Wir stürzen nicht ab , denke ich. Das Schicksal ist nicht so grausam, dass es mich meine letzten Augenblicke mit diesem Mann an meiner Seite verbringen lässt. Aber als ich schließlich die Augen öffne, ist mein Sitznachbar – mitsamt Burger-King-Festmahl – nicht zu sehen.
Anstelle dieser Schmuddelgestalt sitzt da, wie herbeigezaubert, niemand anders als Leo.
Er lächelt mich von der Seite an und sagt: «Ich habe einen Platz in deiner Maschine gekriegt.»
«Das sehe ich.» Ich bemühe mich, mein Lächeln zu unterdrücken, aber diese Schlacht verliere ich sofort.
«Und dann habe ich – äh –
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