Maenner fuers Leben
getauscht.»
«Das sehe ich auch.» Jetzt grinse ich regelrecht. «Du hast eine Menge Tricks drauf, was?»
«Tricks?», wiederholt Leo. «Ich habe dich vor diesem Clown gerettet … der jetzt besoffen – und barfuß – in der Business Class sitzt. Das nenne ich Ritterlichkeit, nicht Tricks.»
«Du hast einen Platz in der Business Class aufgegeben?» Ich fühle mich geschmeichelt, als ich mir ausmale, welche logistischen Anstrengungen notwendig waren, um diesen Augenblick herbeizuführen.
«Ja. Wie findest du das? Für einen Mittelplatz ganz hinten in der Maschine.»
«Na ja, das ist wirklich ritterlich», sage ich.
«Und? Wie wär’s dann mal mit einem Dankeschön?»
«Danke schön», sage ich, und langsam dämmert mir, dass ich die nächsten fünf Stunden eingesperrt in dunkler Enge mit Leo verbringen werde. Mein Herz setzt einmal aus.
«Gern geschehen», sagt er und kippt seine Lehne ein winziges Stück weit zurück, und dann fängt er an, seinen Tisch auf- und abzuklappen, und es sieht aus, als sei er selbst ein bisschen nervös.
Wir finden kurz Blickkontakt, was nicht so einfach ist, wenn man Seite an Seite in der Economy Class sitzt. Ich lächle, schüttele den Kopf und schaue wieder zum Fenster.
Die Flugbegleiterin verkündet, dass das Anschnallzeichen immer noch leuchtet; der Kapitän werde uns wissen lassen, wann wir gefahrlos unsere Plätze verlassen können. Perfekt , denke ich – ich bin komplett eingesperrt, und ich kann nichts dazu.
Eine Zeitlang herrscht angespannte Stille. Ich schließe die Augen und stelle fest, dass meine Flugangst wie durch ein Wunder vergangen ist.
«Also», sagt Leo, als ich die Augen wieder öffne und das Flugzeug im nächtlichen Himmel über Kalifornien seine Reisehöhe erreicht. «Wo waren wir stehengeblieben?»
Siebzehn
Ich weiß nicht, was ich auf diese Frage antworte; ich weiß nur, wir tänzeln erfolgreich um jede Diskussion über unsere Beziehung herum, vor allem um die Frage, wie sie genau zu Ende gegangen ist – eigentlich um alles Private. Dabei vergeht ein großer Teil des Fluges. Wir bleiben bei ungefährlichen Themen wie Kino und Musik, Reisen und Arbeit. Es ist eine Unterhaltung, wie man sie mit jemandem führt, dem man zum ersten Mal begegnet ist und den man gern besser kennenlernen würde. Oder mit einem Bekannten, den man lange nicht gesehen hat. Wir bleiben an der Oberfläche der Dinge, aber durch alles zieht sich ein entspannter Unterton, ein natürlicher Fluss von Fragen und Antworten, immer wieder unterbrochen von behaglichem Schweigen. Tatsächlich sind diese Schweigepausen so behaglich, dass wir uns schließlich wieder auf intimes Gelände locken lassen.
Dazu kommt es auf sehr unschuldige Weise, als ich ihm von einem Shooting erzähle, das ich kürzlich in den Adirondacks hatte. «Es hat einfach was Besonderes, die Einheimischen in einer Kleinstadt zu fotografieren», sage ich. «Leute, die so unentwirrbar mit ihrer Geografie verflochten sind. Das ist so befriedigend …»
Ich spreche nicht weiter, als ich Leos Blick spüre. Als ich mich zu ihm umdrehe, sagt er: «Du liebst deine Arbeit wirklich, nicht wahr?» Sein Ton ist so voll von Bewunderung, dass mein Herz anfängt zu flattern.
«Ja», sage ich leise.
«Das konnte ich heute sehen … Es war schön, dir bei der Arbeit zuzuschauen.»
Ich lächle und widerstehe dem Drang, ihm zu sagen, dass ich es genauso schön fand, ihm bei seinem Interview zuzuschauen. Stattdessen lasse ich ihn weiterreden.
«Komisch», sagt er, und es klingt fast, als denke er laut. «In mancher Hinsicht bist du die Ellen, die ich mal kannte, aber dann wieder … wirkst du … ganz anders.»
Ich frage mich, worauf diese Einschätzung wohl basiert. Seit dem Zufallstreffen auf der Kreuzung können wir alles in allem nicht länger als eine Stunde miteinander geredet haben. Andererseits spüre ich, dass auch ich Leo allmählich anders sehe, und ich erkenne, dass jede Geschichte nicht nur zwei Seiten hat, sondern dass diese Versionen sich auch im Laufe der Zeit entwickeln können.
Ich beobachte, wie Leo einen kleinen Schluck aus seinem Plastikbecher mit Ginger Ale und Eis nimmt, und sehe mich plötzlich mit seinen Augen. Damals und heute. Zwei sehr unterschiedliche Porträts, aber vielleicht im Kern doch gleich. Ich sehe mein früheres Ich: das bedürftige, einsame, junge Mädchen, das keine Mutter mehr hat, neu in der Großstadt, auf der Suche nach einer Identität, nach Eigenständigkeit, weg von der
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