Maenner in Freilandhaltung
Friseurbesuch? Extra für unser Treffen? Wow, ich fühle mich geschmeichelt. Hoffentlich nimmst du es mir nicht übel, dass ich mich dir zu Ehren heute Morgen nicht rasiert habe«, flachste Jan und strich sich über seine Bartstoppeln. Offenbar bereitete es ihm eine diebische Freude, mich in Verlegenheit zu bringen.
»Ja, ja, wer den Schaden hat ... Könntest du mir einen Gefallen tun und einfach die Klappe halten?«, knurrte ich ärgerlich. Dass ausgerechnet Jan mich in dieser bemitleidenswerten Verfassung zu sehen bekam, ging mir, aus welchen Gründen auch immer, gewaltig gegen den Strich. »Ich weiß selbst, dass ich absolut grauenvoll aussehe.«
»Ach was, halb so wild. Glaub mir: Eine schöne Frau wie dich kann nichts entstellen. Das schafft nicht einmal unsere liebe Gaby.«
Obwohl seine Augen dabei vergnügt funkelten, hatte das keineswegs scherzhaft, sondern durchaus ernst gemeint geklungen. Oder hatte er das mit der schönen Frau einfach nur so dahingesagt, um seine blöden Witzeleien wiedergutzumachen? Nicht, dass es wirklich eine Rolle gespielt hätte, aber wer würde sich nicht freuen, ein solches Kompliment zu bekommen?! Etwas verlegen erwiderte ich sein Lächeln. Wow, schoss es mir durch den Kopf, als sich unsere Blicke trafen. Waren seine Augen vorhin auch schon so blau gewesen?
»So, dann wollen wir mal.« Jan ließ seinen Autoschlüssel in der Hosentasche verschwinden und deutete Richtung Wald. »Jetzt lass mal sehen, was du draufhast, Kumpel.«
Ich schluckte meine Enttäuschung herunter. Kumpel?! Das hatte aber eben noch ein bisschen anders geklungen ... Als Jan ein Hundeleckerli aus der Tasche fischte, wurde mir jedoch klar, dass er gar nicht mich, sondern Ernie gemeint hatte. Gut, dass sich wenigstens einer von uns an den eigentlichen Grund unseres Treffens erinnerte.
»Am besten beginnen wir damit, die Leinenführigkeit zu trainieren«, eröffnete Jan nach unserem kleinen privaten Vorgeplänkel nun ganz sachlich die Nachhilfestunde. »Denk immer daran: Du bist der Boss! Du führst Ernie an der Leine und nicht umgekehrt.«
Mir musste er das nicht erzählen – Ernie aber sehr wohl. Denn bedauerlicherweise schien dieser mit der ihm zugedachten Rolle nicht einverstanden zu sein. Obwohl das Halsband ihm fast die Luft abschnürte, stemmte er sich wie beim Tauziehen mit aller Kraft gegen die Leine.
Jan beobachtete einen Moment unser Gerangel, bevor er eingriff. »Wenn Ernie zieht, musst du sofort stehen bleiben, Louisa. Erst wenn die Leine locker durchhängt, darfst du weitergehen.« Da Ernie es gewöhnt war, das Tempo und die Richtung vorzugeben und mich dabei wie lästigen Ballast hinter sich herzuschleifen, kamen wir nur im Schneckentempo voran. Stop-and-go, Stop-and-go – so als würden wir auf der Autobahn im Stau stehen. Eifrig darum bemüht, nichts falsch zu machen, knabberte ich auf meiner Unterlippe herum. Dank Gaby hatte ich mich heute vor Jan schon genug blamiert. Er sollte nicht denken, dass ich zu blöd war, einen kleinen Hundewelpen zur Räson zu bringen – auch wenn es leider der Wahrheit entsprach. Nachdem wir eine Weile ohne nennenswerte Fortschritte geübt hatten, forderte Jan mich auf, Ernie von der Leine zu lassen, und wir wiederholten den Komm-Befehl, den wir in der Hundeschule bereits trainiert hatten. Zum Glück stellte Ernie sich dabei wesentlich gelehriger an.
»Prima, das klappt doch schon toll.« Obwohl ich nicht wusste, ob Jans Worte mir oder Ernie gegolten hatten, freute ich mich über das Lob. »Nun erhöhen wir den Schwierigkeitsgrad ein bisschen«, erklärte Jan. »Lass Ernie vorlaufen, dann versteckst du dich hinter einem Baum und rufst ihn.«
Auch diese Aufgabe bewältigte der Welpe souverän.
»Braver Junge«, lobte Jan und streichelte Ernie liebevoll. Erstaunlich sanft fuhren seine kräftigen, gebräunten Hände durch das seidig glänzende Fell. Hund müsste man sein!
»Na, nun lauf schon!« Jan gab Ernie einen leichten Klaps auf das Hinterteil.
Ein wenig unsanft landete ich wieder auf dem harten Boden der Realität. Himmel, was war nur los mit mir? Ärgerlich über mich selbst schüttelte ich den Kopf. Für diese merkwürdigen Hirngespinste gab es nur eine logische Erklärung: zu viel frische Luft! Als echte Großstadtpflanze war ich es einfach nicht gewöhnt, mich so lange im Freien aufzuhalten. In Zukunft würde ich die Sauerstoffzufuhr lieber etwas drosseln oder zumindest ab und zu mal an einem Auspuffrohr schnuppern. Oder gab es womöglich noch
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