Maenner in Freilandhaltung
ganz und gar Unerotisches wie Pensionsrückstellungen und Bilanzen zu denken.
Damit Jan meine vor Scham und Verlegenheit geröteten Wangen nicht bemerkte, gab ich vor, an den Margeriten zu schnuppern und versenkte mein Gesicht in dem Blumenstrauß. »Danke. Wie lieb von dir«, murmelte ich.
Sicher hätte man mich besser verstanden, wenn ich beim Sprechen den Mund richtig aufgemacht hätte. Aber das ließ ich lieber bleiben, schließlich wollte ich nur an den Blumen riechen und sie nicht anknabbern. Im Allgemeinen unterschieden sich Margeriten nicht so furchtbar stark voneinander, und obwohl auch an diesem Sträußchen abgesehen von einer Ameise, die sich verlaufen hatte, auf den ersten Blick nichts Besonderes zu erkennen war, hätte ich schwören können, dass ich genau diese Margeriten schon mal irgendwo gesehen hatte.
»Ich garantiere dir: So frische Blumen hast du noch nie geschenkt bekommen«, bestätigte Jan in diesem Moment grinsend meinen Verdacht.
Ich musste schallend lachen. Gottlob, der Bann war gebrochen. Was machte es schon, dass er die Margeriten aus Hannahs Vorgarten stibitzt hatte? Er wollte mir eine Freude machen. Allein das zählte.
Ich bat Jan herein und führte ihn ins Wohnzimmer, wo Ernie eben noch ein kleines Nickerchen gehalten hatte. Bei Jans Anblick sprang er sofort auf, um ihn zu begrüßen. Er kriegte sich vor Freude kaum wieder ein. Während ich das Diebesgut in einer Blumenvase arrangierte, sah Jan sich mit unverhohlener Neugier um.
»Und? Gefällt’s dir?«, fragte ich.
»Na ja ... Ein schönes Haus, sehr groß und so ...« Offenbar fiel ihm das passende Wort nicht ein.
»... und so beige? Ist es das, was du sagen wolltest?«
Unsere Blicke trafen sich, und wir mussten erneut lachen.
»Die Geschmäcker sind nun mal verschieden.« Jan blieb vor einem handgeknüpften Wandteppich stehen, der an Scheußlichkeit kaum zu überbieten war. »Aber ich bin sicher, dass Ernie über solche Äußerlichkeiten hinwegsieht und sich hier wohlfühlt.«
Jan war vorbeigekommen, um mir zu zeigen, worauf wir bei Ernies Erziehung in seiner normalen Umgebung achten mussten. Ein Hausbesuch sozusagen. Das Treffen war also, wenn man von den Blumen und meinen gedanklichen Ausschweifungen, die nicht recht dazu passen wollten, einmal absah, rein beruflicher Natur.
»Ist das Ernies Platz?« Jan wies auf das helle Sofa, wo außer einer zerwühlten karierten Decke ein angeknabbertes Schweineöhrchen herumlag.
Ich nickte. Jan schüttelte den Kopf. »Das geht auf gar keinen Fall. Ernie muss runter vom Sofa.«
Ich war schwer beeindruckt. Dass ein Mann für so etwas einen Blick hatte, war wirklich eine Seltenheit. Die Frau, die Jan irgendwann einmal als Ehemann bekam, durfte sich gleich in mehrfacher Hinsicht glücklich schätzen.
»Der helle Stoff ist tatsächlich sehr empfindlich, aber wenn wir die Decke drüberlegen, ist es schon okay.«
»Nein, das meine ich nicht. Im Rudel gibt es eine feste Rangordnung. Eine Hierarchie, die festlegt, wer der Boss ist. Der, der oben sitzt, hat das Sagen. Damit dich Ernie als Rudelführer akzeptiert und dir ohne Wenn und Aber gehorcht, ist es immens wichtig, solche Dinge im Alltag zu beherzigen.«
Jan nahm die karierte Decke und breitete sie neben dem Sofa auf dem Boden aus. »Also, Ernie, so leid es mir tut, von nun an wirst du dir unten ein Plätzchen suchen müssen.« Er streichelte Ernie, woraufhin dieser sich sofort mit wedelndem Schwanz auf den Rücken warf und mit schmachtendem Blick darauf wartete, dass Jan ihm die Brust kraulte.
»Hund müsste man sein«, entfuhr es mir. Meine Güte, ging das jetzt etwa schon wieder los?!
»Wie bitte?« Jan war offenbar so mit Ernie beschäftigt gewesen, dass er meine Bemerkung nicht gehört hatte. Zum Glück!
Nach dem Schlafplatz inspizierte Jan auch noch Ernies Futternäpfe und fragte mich nach seinen Fressgewohnheiten. Auch daran hatte er etwas zu beanstanden. Von nun an sollte Ernie immer erst nach uns seine Mahlzeiten bekommen. Klar, der Boss durfte sich zuerst den Bauch vollschlagen. Langsam begriff ich, worauf Jan hinauswollte. Während er mir noch ein paar elementare Regeln der Hundeerziehung erklärte, schaute er mir tief in die Augen. Oder bildete ich mir das womöglich nur ein? Es war nun mal ein Gebot der Höflichkeit, beim Sprechen Blickkontakt zu halten und nicht auf seine Schuhspitzen zu starren oder in der Gegend herumzugucken. Dass seine blauen Augen in meinem Bauch ein nervöses Kribbeln hervorriefen, konnte
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