Maenner in Freilandhaltung
versetzen?!
Rebecca bedachte mich mit einem Blick, der sonst wohl nur Kindern, die sich nach dem Pipimachen nicht die Hände gewaschen hatten, vorbehalten war.
»Also, entschuldige mal bitte. Lukas’ Verhalten ist schlimm. Wir sollten den Vorfall keineswegs auf die leichte Schulter nehmen.«
»Du hast recht. Aber ich kann dich beruhigen. Lukas hat keine Tollwut.«
Ohne auf meine ironische Bemerkung einzugehen, gab Rebecca mir zu verstehen, dass ich ihr folgen sollte. Sie führte mich in den Gruppenraum, wo ein heilloses Gewimmel und Gewusel herrschte. Um die zwanzig kleine Rabauken tummelten sich auf dem Bauteppich, in der Puppenecke und zwischen den Spielzeugkisten.
Lukas, der sonst immer im Zentrum des Geschehens zu finden war, hatte man offenbar aus dem Verkehr gezogen. Mit trotziger Miene saß der kleine Übeltäter, der sich keiner Schuld bewusst zu sein schien, an einem Tisch mit Buntstiften. Mittlerweile wusste ich schon, was das zu bedeuten hatte: Damit er genug Zeit und Ruhe hatte, über seine Missetat nachzudenken, sollte Lukas Mandalas ausmalen. So wie’s aussah, hatte Finn sich aus Solidarität zu ihm gesellt, was ich ihm hoch anrechnete, denn Finn hasste Mandalas. Aus diesem Grund bohrte er lieber, ganz kreativ, mit einem Buntstift in der Nase herum.
Als die Zwillinge mich sahen, winkten sie mir hocherfreut zu. Aber bevor ich sie von ihrem Sünderbänkchen erlösen konnte, musste ich mir erst einmal ein möglichst genaues Bild von der Situation machen. Dieser Meinung schien auch Rebecca zu sein.
»Max, komm mal bitte her«, rief sie laut in das Getümmel hinein.
Ich hätte schwören können, dass der Junge, der Rebeccas Aufforderung umgehend Folge leistete, sonst nicht so gut hörte. Max hatte wenig Kindliches an sich, vielmehr erinnerte er mich an einen etwas zu klein geratenen Erwachsenen. Ein Blick in sein Gesicht reichte, und ich wusste, was ich von ihm zu halten hatte. Feiste Pausbacken, militärisch kurz geschorene Haare, ein stechender Blick aus kleinen Schweinsäuglein, aber am unangenehmsten war erstaunlicherweise sein Lächeln, das eigentlich mehr ein Grinsen war und etwas eigenartig Verschlagenes an sich hatte. Alles in allem nicht gerade ein Sympathieträger, aber das war natürlich noch lange keine Entschuldigung für Lukas’ Verhalten. Mal kräftig vors Schienbein treten – okay, in seine speckige Wampe kneifen – auch okay, aber beißen? Das ging nun wirklich nicht. So was machten doch nur Mädchen.
Rebecca schob den rechten Ärmel von Max’ Pullover nach oben. »Da! Sieh dir das an!«
Lukas hatte ganze Arbeit geleistet. Obwohl »der Vorfall«, wie die Beißattacke hier im Kindergarten offenbar genannt wurde, bestimmt schon eine halbe Stunde her war, konnte man noch deutlich die rötlichen Bissspuren erkennen. Respekt, ein Zahnarzt hätte den Kieferabdruck nicht besser hinbekommen, die große Lücke zwischen Lukas’ intaktem Schneide- und dem Eckzahn war deutlich zu erkennen.
Auffordernd sah Rebecca mich an. Sicher erwartete sie jetzt von mir, dass ich meine Betroffenheit und mein Mitgefühl für das Opfer zum Ausdruck brachte.
»Der arme Junge ...«, begann ich. In diesem Moment verzog Max erneut sein feistes Gesicht zu einem fratzenhaften, hinterhältigen Grinsen. »Der arme Junge ... wird sicher mal eine feste Zahnspange brauchen.«
»Es ist nicht das erste Mal, dass Lukas ein anderes Kind gebissen hat.« Rebecca stemmte die Hände in die Hüften und sah mich vorwurfsvoll an. »Aber so schlimm wie heute war es noch nie.«
»Und was erwartest du jetzt von mir? Soll ich Lukas einen Maulkorb anlegen?«
»Das wäre wohl kaum die geeignete Lösung.«
»Hallo?! Das war ein Scherz.«
»Möglicherweise verbirgt sich hinter Lukas’ Beißattacken eine ernst zu nehmende seelische Störung. Ich bin sicher, Kerstin hätte gewusst, was zu tun ist.«
Kapitel 10
»Kerstin hätte gewusst, was zu tun ist«, äffte ich Rebecca nach. »Eine überaus hilfreiche Information. Oder kennst du vielleicht irgendein Medium, das Kontakt zu Kerstin im Jenseits aufnehmen könnte, um sie zu fragen, was ich mit Lukas anstellen soll? Ach, und bei der Gelegenheit würde ich auch furchtbar gerne erfahren, wie sie es geschafft hat, Rebecca Daniel auszuspannen. Nur so interessehalber ...«
Jette schüttelte bedauernd den Kopf. »Sorry, da muss ich passen. So leid es mir tut, ein Medium steht nicht in meinem Adressbuch.«
Wir saßen mit einer Tasse Kaffee auf Jettes Hollywoodschaukel und
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