Maenner in Freilandhaltung
nicht vorstellen, was Daniel sagen würde, wenn er hörte, was ich seinem Sohn angetan hatte! Von Rebecca ganz zu schweigen. Und es gab nichts, aber auch wirklich gar nichts, was ich zu meiner Verteidigung vorzubringen hatte. Außer vielleicht »Er hat aber angefangen«, was jedoch selbst in meinen Ohren ziemlich kindisch geklungen hätte.
»Autsch«, jammerte Lukas, der langsam aus seiner Erstarrung zu erwachen schien, und rieb sich vorwurfsvoll seine Hand. »Das hat wehgetan.«
»Ganz genau«, sagte ich ruhig und verzweifelt darum bemüht, mir nicht anmerken zu lassen, wie aufgewühlt ich war und wie schuldig ich mich fühlte. »Mir hat es genauso wehgetan, als du mich gebissen hast.«
Nun überraschte Lukas mich erneut. Anstatt die Sirene anzuschmeißen oder gar laut jammernd nach seinem Papa zu verlangen, nickte er bloß.
Ohne Lukas eines weiteren Blickes zu würdigen, schleifte ich Ernie, der begeistert die Sahne vom Boden aufschleckte, aus der Küche und befahl ihm dann in der Diele, Sitz zu machen. Wie ein Schutzmann hob ich den Arm und sagte mit flach vorgestreckter Hand: »Bleib!« Da wir diesen Befehl erst ein- oder zweimal mit Jan geübt hatten, war ich überrascht, dass Ernie tatsächlich brav gehorchte. Christopher, der wohl begriff, dass die Vorstellung nun vorbei war, trollte sich freiwillig in sein Zimmer, um seine Hausaufgaben zu machen. Nur die Zwillinge standen noch wie begossene Pudel da.
»Was haltet ihr davon, die neuen Filzstifte von euren Großeltern auszuprobieren?«, schlug ich vor.
»Na gut.« Mit den Filzstiften in der Hand zockelten die Jungs brav von dannen.
Ich schnappte mir einen Putzlappen und begann, die Schweinerei vom Boden und von den Schränken und Wänden zu beseitigen, dann widmete ich mich wieder hoch konzentriert der Torte. Alles lief erstaunlich glatt. Ohne weitere Zwischenfälle konnte ich mein Werk beenden. Zufrieden musterte ich das Ergebnis. Es konnte sich sehen lassen – genau wie das Bild, zu dessen Begutachtung die Zwillinge mich jetzt nach oben riefen.
Ich lief die Treppe hoch und hielt irritiert inne.
»Was ist das?«, fragte ich.
»Eine Ritterburg.«
»Das sehe ich auch! Aber warum habt ihr die Ritterburg auf die Tapete gemalt und nicht auf ein Zeichenblatt?«
Lukas zuckte ungerührt die Achseln. »Die Burg war zu groß, um sie auf ein Blatt Papier zu malen.«
Das war ein Argument, dem ich nichts entgegenzusetzen hatte.
Unter normalen Umständen hätte ich die Kinder vermutlich ordentlich zusammengestaucht. Aber da ich mich nach dem Vorfall mit Lukas ohnehin wie eine Kinderschänderin fühlte, schluckte ich meine Strafpredigt herunter.
»Ihr wollt die Wände bemalen? Na schön, dann gehen wir jetzt in den Baumarkt und kaufen Farbe.«
Die nächsten Stunden waren wir vollauf beschäftigt. Und als wir gegen Abend unten die Haustür klappern hörten, hatten wir gerade den letzten Pinselstrich gemacht. Zufrieden sah ich mich um. Der Flur der oberen Etage erstrahlte in einem sonnigen, fröhlichen Orange. Hier und da war die Farbe vielleicht nicht ganz akkurat aufgetragen, aber der Gesamteindruck stimmte. Nina würde begeistert sein!
»Gute Arbeit, Jungs«, lobte ich meine fleißigen Helfer.
Als Daniel die Treppe heraufkam, war er im ersten Moment sprachlos. Allerdings nicht vor Freude, wie ich kurz darauf feststellen musste.
»Bist du von allen guten Geistern verlassen?«, herrschte er mich an. »Wie konntest du das tun? Verdammt, was hast du dir dabei gedacht? Das hättest du vorher mit mir absprechen müssen!«
Er war puterrot angelaufen, und seine Halsschlagader pochte. Meine Güte, was regte er sich wegen ein paar farbiger Wände so auf?!
»Tut mir leid, dass ich nicht deinen Geschmack getroffen habe«, erwiderte ich ärgerlich. Er musste mir zum Dank für meine Arbeit ja nicht gleich die Füße küssen, aber ein solcher Anranzer war nun wirklich das Letzte, was ich verdient hatte. »Nicht einmal deine Söhne wussten, dass du Orange so schrecklich findest.«
»Aber darum geht es doch gar nicht!« Wütend trat Daniel vor einen Farbeimer, der im Weg stand, und stöhnte schmerzerfüllt auf. »Oh Gott!« Er rieb sich seinen Knöchel. »Wie soll ich das bloß Erika erklären? Wir haben immer alles weiß gestrichen. Kerstin mochte keine farbigen Wände.«
Ich sah Daniel ungläubig an. »Dann wird es vielleicht Zeit, deiner Schwiegermutter gegenüber endlich mal Farbe zu bekennen«, sagte ich unwirsch, während ich begann aufzuräumen. »Nina liebt
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