Maenner in Freilandhaltung
hatten.
Rebecca stand auf und nahm mir den Stapel mit dem schmutzigen Geschirr aus der Hand. »Geh ruhig ins Bett, Louisa. Ich helfe Daniel noch ein bisschen beim Aufräumen.« Sie wandte sich an meinen Schwager. »Außerdem wollte ich ohnehin noch mit dir über Lukas reden.«
Alarmiert horchte ich auf. »Lukas? Was ist mit Lukas?«
Ohne mir in irgendeiner Form Beachtung zu schenken, legte Rebecca mit einem tiefen Seufzer tröstend ihre Hand auf Daniels Arm. »Ich wünschte, ich könnte dir das ersparen, Daniel, du hast weiß Gott genug um die Ohren. Aber Lukas hat heute Morgen im Kindergarten wieder ein Kind gebissen. Nicht ganz so fest wie beim letzten Mal, das lag allerdings nur daran, dass er Melissas Knie nicht richtig in den Mund bekommen hat. Diese Attacken werden langsam, aber sicher zu einem echten Problem, das wir schnellstmöglich in den Griff kriegen müssen.«
Daniel strich sich müde über die Augen. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er kein allzu großer Fan von Problemen war. Schon gar nicht zu so später Stunde.
»Meinst du nicht, dass das irgendwann von allein wieder aufhört? Andere Jungs in Lukas’ Alter boxen oder treten. Ich will Lukas’ Verhalten auf gar keinen Fall entschuldigen, aber ist es nicht normal, dass unter Kindern bisweilen etwas rauere Umgangsformen herrschen?«
Unter Kindern? Ich dachte an Susanne, Daniels Sekretärin. Hoffentlich wusste mein Schwager, was er an ihr hatte! Die Frau war nicht nur ein echter Sonnenschein, sondern darüber hinaus auch noch ein eins a Geheimnisträger. Sie hatte dichtgehalten und Lukas nicht bei seinem Vater verpfiffen. Das rechnete ich ihr hoch an.
»Mal eine kleine Rauferei oder zwischendurch eine Rangelei sind in der Tat völlig normal«, sagte Rebecca mit sorgenvoll gefurchter Stirn. »Aber beißen? In Lukas’ Alter? Das ist ganz klar eine Verhaltensauffälligkeit, die man so nicht tolerieren darf. Sei mir nicht böse, Daniel, wenn ich das so sage, aber du hast für die Kinder die Woche über kaum Zeit. Nicht dass ich dir daraus einen Vorwurf machen wollte, schließlich musst du arbeiten und für deine Familie die Brötchen verdienen. Aber Louisa ist mit den Kindern einfach restlos überfordert.«
»Also bitte, das stimmt doch gar nicht.« Empört stemmte ich die Hände in die Hüften.
»Ach nein?« Rebecca zog die Augenbrauen so weit nach oben, dass sie fast mit ihrem Haaransatz verschmolzen. »In letzter Zeit habe ich bei den Jungs sogar eine gewisse Verwahrlosung festgestellt.«
»Verwahrlosung?«, keuchte ich aufgebracht. Tickte die blöde Kuh noch richtig?! »Das ist ja wohl eine Frechheit.«
»Korrigier mich bitte, wenn ich etwas Falsches sage«, flötete Rebecca zuckersüß, »aber letzte Woche hast du Finn im Schlafanzug in den Kindergarten gebracht.«
Daniels Augen weiteten sich entsetzt. »Stimmt das, Louisa?«
»Nein. Also ... das heißt ja«, stammelte ich aus der Defensive heraus. Hatte Rebecca nicht eigentlich über Lukas reden wollen? Nun stand ich plötzlich am Pranger. Noch dazu völlig ungerechtfertigt, wie ich fand. Schließlich hatte ich für mein Handeln gute Gründe gehabt. So leicht würde ich mir von Rebecca nichts unterjubeln lassen. »Du kennst doch deinen Sohn, Daniel«, erklärte ich mühsam beherrscht. »An dem Morgen, an dem du schon früher in die Firma gefahren bist, hat er wieder Ewigkeiten rumgetrödelt und sich nicht fertig gemacht. Da habe ich ihm dreimal hintereinander angedroht, dass ich ihn im Schlafanzug im Kindergarten abliefere, wenn er nicht endlich mal Gas gibt. Aber Finn hat weiter gebummelt und mit seinen Playmobilpiraten gespielt. Da hatte ich gar keine andere Wahl, als meine Drohung auch in die Tat umzusetzen.« Weil die erwartete Zustimmung ausblieb, fügte ich nicht ganz ohne Stolz hinzu: »Seit ich das durchgezogen habe, läuft es morgens wie geschmiert. In zehn Minuten ist Finn fertig, inklusive Zähneputzen versteht sich.«
Rebecca stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Irre ich mich, oder hast du von Kindererziehung überhaupt keine Ahnung?« Dann wandte sie sich erneut an Daniel. »Weißt du, welchen Beinamen dein Kind im Kindergarten trägt?« Bevor Daniel, der wie ein Häufchen Elend auf der Wohnzimmercouch saß, auch nur den Mund aufmachen konnte, schleuderte sie ihm die Antwort auch schon entgegen: »Lukas der Beißer.«
Lukas der Beißer, Alexander der Große, Iwan der Schreckliche ... Lukas befand sich in guter Gesellschaft. Ich hätte wetten können, dass er auf
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