Maenner in Freilandhaltung
diesen Beinamen sogar mächtig stolz war.
»So geht das nicht weiter. Wenn ihr mich fragt, solltet ihr einen Kinderpsychologen hinzuziehen.«
Rebecca kramte in ihrer Handtasche herum und zog eine Visitenkarte hervor, die sie Daniel mit einer großen Geste überreichte. Unschlüssig, was er von all dem halten sollte, spielte Daniel mit dem Kärtchen herum.
»Ein Kinderpsychologe? Also, ich weiß nicht recht ... Meinst du vielleicht, Lukas’ Beißattacken könnten damit zusammenhängen, dass ihm die Mutter fehlt? Oder dass Nina plötzlich nicht mehr da ist?«
»Dr. Meyer-Birkenstock wird es herausfinden. Die Frau ist eine echte Koryphäe.« Rebecca strich Daniel beruhigend über die Schulter. »Vertrau mir. Wenn jemand Lukas’ Problem in den Griff bekommt, dann sie.«
»Schickt ihr Lukas wirklich zu dieser Konifere?«
Es war früher Nachmittag. Ich stand in der Küche und versuchte, mich auf das Rezept für die Schwarzwälder Kirschtorte zu konzentrieren, als Christopher mich mit dieser Frage überfiel.
»Schätzchen, warum sollten wir deinen Bruder zu einer Konifere schicken? Wir haben doch wirklich genug davon in unserem Garten«, sagte ich abwesend, während ich die Sahne aus dem Kühlschrank nahm und zum Schlagen in eine Schüssel füllte.
Die Biskuit- und Mürbeteigböden hatte ich zum Glück bereits fertig. Was für eine Heidenarbeit! Da hatte Hannah mir was Schönes eingebrockt. Dummerweise war Jette ausgerechnet jetzt für ein paar Tage zu ihrer Tante nach Hamburg gefahren, sodass sie mir nicht aus der Klemme helfen konnte.
»Na, diese Birkenstock-Frau«, beharrte Christopher.
Endlich dämmerte es mir. Christopher, der oft nachts wach wurde, musste gestern am späten Abend auf dem Weg zur Toilette Teile unseres Gesprächs aufgeschnappt haben. Und wer wollte es ihm verdenken, dass er eine Koryphäe mit einer Konifere verwechselt hatte? Bevor ich ihm den Unterschied erklären konnte, kamen auch Finn und Lukas mit Ernie im Schlepptau in die Küche scharwenzelt.
»Hast du Lulu wegen der Koni ... wegen der Koni ... wegen der Konidingsda gefragt?«, wollte Finn wissen.
»Wisst ihr, Jungs, die Sache ist die«, suchte ich gleichzeitig nach einer guten Erklärung und nach einer größeren Schüssel für die Sahne. Doch mit beidem kam ich bedauerlicherweise nicht weit ...
Als ich in die dunklen Tiefen des Küchenschranks abtauchte, wo sich ein Sammelsurium aus Tupperschüsseln befand, hörte ich plötzlich den Küchenmixer laut aufheulen. So schnell es ging, krabbelte ich aus dem Schrank wieder hervor und zog bei dem Anblick, der sich mir bot, scharf die Luft ein.
Lukas hatte sich einen Stuhl vor die Küchenarbeitsplatte geschoben, auf dem er nun stand und dabei eifrig mit dem Mixer hantierte. Die Sahne spritzte wild in alle Richtungen. Was den kleinen Möchtegernkonditor aber keineswegs dazu veranlasste, den Küchenmixer auszustellen. Im Gegenteil! Wie ein Formel-1-Pilot beim Überholmanöver schaltete er den Turbo ein und gab richtig Gas.
»Lukas, mach das Ding aus!«, schrie ich entsetzt und versuchte, den herumfliegenden Sahnespritzern auszuweichen.
Doch Lukas hörte nicht. Was keineswegs an der Lautstärke des Küchenmixers, sondern einzig und allein an seinem Sturkopf lag. Angestachelt durch das Gelächter seiner Geschwister, ließ er die Sahne absichtlich weiter durch die Küche spritzen. Mit einem beherzten Satz sprang ich neben ihn und versuchte, ihm den Küchenmixer zu entwinden, was mit wütendem Protestgeheul quittiert wurde.
Dann ging auf einmal alles rasend schnell. Ehe ich wusste, wie mir geschah, spürte ich plötzlich einen stechenden Schmerz in meiner Hand. Entgeistert starrte ich auf die Stelle, wo ein feuerroter Abdruck prangte. Unfassbar! Ich konnte es kaum glauben: Der kleine Satansbraten hatte mich tatsächlich gebissen!
Ohne lange zu überlegen oder mir über die Konsequenzen meines Handelns Gedanken zu machen, schnappte ich mir Lukas’ Hand und biss zurück.
Das laute Brummen des Mixers erstarb. Plötzlich war es in der Küche totenstill. Mit weit aufgerissenen Augen starrten wir uns an.
Schwer zu sagen, wer über meine Reaktion entsetzter war: Lukas oder ich.
Oh Gott, was hatte ich getan?! Nun würden wir um einen Besuch bei Frau Meyer-Birkenstock ganz bestimmt nicht mehr rumkommen. Die Abdrücke auf meiner Hand waren vermutlich nichts im Vergleich zu den Spuren, die mein unüberlegtes Handeln auf Lukas’ zarter Kinderseele hinterlassen hatte. Ich wollte mir lieber gar
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