Maenner und andere Katastrophen - Roman
eine weibliche Figur erschaffen wollen, aber schon die ersten Versuche, eine weibliche Nase zu bilden, schlugen fehl. Doch statt den Kopf wieder einzustampfen oder in die Reihen der abschreckenden Beispiele einzugliedern, erkannte ich glücklicherweise die frappierende Ähnlichkeit mit dem Hotzenplotz aus Mos und meinem alten Kinderbuch und hörte nicht eher auf, bis er aufs i-Tüpfelchen genau der Abbildung glich. Tatsächlich stellte sich dabei wieder das gewisse Hochgefühl ein, das mich stundenlang in der Blaubartkammer festhielt.
Am frühen Nachmittag bürstete ich mir befriedigt die Modelliermasse von meinen Händen und fuhr zu Bille. Immer im Frühling, wenn es wieder warm genug für kurze Hosen und Röcke wurde, starteten wir voller guter Vorsätze das Jedes-Jahr-aufs-Neue-Trainingsprogramm für die sportliche Traumfigur.
»Diesmal ist es uns aber wirklich ernst damit«, sagte Bille streng.
»Wirklich ernst«, bestätigte ich.
Billes Wohnung lag nur ein paar Schritte vom Rheinufer entfernt, und wir nahmen uns vor, flussabwärts bis nach Düsseldorf und wieder zurück zu joggen.
»Diesmal ist es wirklich ernst«, wiederholte Bille, und ich nickte dynamisch.
An einer Bank machten wir ein paar ungemein professionelle Übungen zur Muskelerwärmung und trabten zügig los, um die Stadt rasch hinter uns zu lassen.
Aber schon bei der nächsten Bank war mir, als habe jemand Bleisäcke an meine Waden gehängt, und mein Atem ging stoßweise und pfeifend. Zweihundert Meter weiter begann ein fürchterliches Seitenstechen, und ich hatte rote Schleier vor den Augen und ein äußerst beklemmendes Gefühl in der Brust.
»Herz-in-fa-ha-harkt«, keuchte ich alarmiert in Billes Richtung.
»Kreis-la-hauf-kollaps«, keuchte Bille zurück.
»Diesmal i-hist es wi-hirk-lich ernst«, japste ich.
»Noch bis zur nächsten Laterne«, japste Bille zurück, und wir schleppten uns zwanzig Schritte weiter, bevor wir uns auf die Böschung fallen ließen und vorwurfsvoll in das hochrote Gesicht des anderen starrten.
»Nächstes Mal wird es aber wirklich ernst«, sagte Bille schließlich. »Sonst wird das nie was!«
»Nächstes Mal wirklich«, bestätigte ich streng und schüttelte meine Bleibeine aus.
Als wir zu Billes Wohnung zurückkamen, begegnete uns der schöne Burghart mit den Grübchen im Treppenhaus.
»Hallöchen«, rief er. Ich versuchte, meine Beine hinter Billes zu verstecken und lächelte erfreut über ihre Schulter.
»Ich bin gerade auf die Idee gekommen, heute Abend ganz spontan eine Fete steigen zu lassen«, sagte Burghart. »Habt ihr auch Lust zu kommen?«
Klar hatten wir Lust.
Nach der Dusche in Billes Marmorbad erbettelte ich mir Billes beste Jeans und ihr bestes T-Shirt. Sie gab mir die Sachen widerspruchslos. Offenbar fand sie, dass sie in ihren zweitbesten Sachen immer noch besser aussah als ich in ihren besten.
Um nicht uncool zu erscheinen, warteten wir noch, bis es dunkel war, bevor wir voller Erwartung ein Stockwerk tiefer gingen.
Burgharts Wohnung lag im Stockdunkeln, nur erhellt von zwei Teelichtern und den Leuchtdioden seiner Stereoanlage, die bis zum Anschlag aufgedreht war und Weisen aus bekannten Musicals zum Besten gab. Wenn das nicht mal eine wirklich günstige Beleuchtung für meinen Teint war!
Soweit ich erkennen konnte, waren außer uns nur noch ein übergewichtiges Pärchen und ein segelohriger Junge Burgharts Einladung gefolgt. Trotzdem schien Burghart in bester Stimmung. Er tanzte mitten im Raum eine Mischung aus Schwanensee und Dirty Dancing und etwas, was ich noch nie gesehen hatte.
Auf dem Esstisch standen mehrere Flaschen, deren verschiedenfarbige Flüssigkeiten im Schein der Teelichter diabolisch funkelten. Ich vermutete 15 % Vol. in jeder Flasche, und mindestens zwei davon musste Burghart schon ganz allein getrunken haben. Was sonst könnte einen dazu bewegen, die Bielmann-Pirouette ohne Schlittschuhe zu tanzen?
»Ich heiße Achim«, sagte der segelohrige Junge.
Er deutete auf die Flaschensammlung auf dem Tisch.
»Wir haben uns überlegt, dass wir keine Gläser brauchen, wenn jeder sich direkt eine Flasche nimmt«, sagte er. »Sucht euch eine aus.«
Bille und ich tauschten einen schnellen Blick. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder wir suchten auf der Stelle das Weite, oder wir betäubten uns auf der Stelle mit Alkohol.
»Ich nehme die Sektflasche«, sagte Bille ergeben und ließ den Korken knallen.
»Ich nehme die hier«, entschied ich mich und griff nach einer
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