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Maenner und andere Katastrophen - Roman

Maenner und andere Katastrophen - Roman

Titel: Maenner und andere Katastrophen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Flasche, deren Inhalt rot schimmerte.
    »Das ist Genever«, informierte mich Burghart. »Den mag hier sonst sowieso keiner.«
    Der Genever schmeckte süß und klebrig. Aber er wirkte Wunder. Schon nach den ersten zwei großen Schlucken begann ich, die Spontanfete in einem anderen Licht zu sehen. Und nach dem vierten Schluck fand ich mich gemeinsam mit Burghart, Bille und dem Segelohr tanzend auf dem Wohnzimmerteppich wieder, zu »Don't cry for me, Argentina«.
    Das übergewichtige Pärchen verabschiedete sich dezent gegen Mitternacht, als Marius Müller-Westernhagen aus den Boxen dröhnte und wir einstimmig mitgrölten: »Ich bin froh, dass ich kein Dicker bin!«
    Als mitten in der Nacht Helmut mit dem Kaiser-Wilhelm-Bart aus dem zweiten Stock an der Wohnungstür klingelte, war nur noch ein Spuckrest in der Geneverflasche, und ich war fast so weit, die Bielmann-Pirouette auch zu versuchen.
    Kaiser-Wilhelm zuliebe drehten wir die Anlage leiser und hörten auf mitzusingen.
    »Ich steh auf ältere Frauen«, flüsterte der segelohrige Achim in mein Ohr und legte vertrauensvoll den Arm um meine Schulter.
    »Hast du morgen keine Schule, Achim?«, fragte ich.
    »Morgen nicht«, lallte Achim.
    Ich suchte nach einer zweiten Flasche Genever. In der Küche tanzte Bille ganz allein mit einer Bierflasche.
    »Sekt und Wein, das schmeckt fein, danach ein Bier, das rat ich dir«, sang sie. Der segelohrige Achim legte Bille den Arm um die Schulter und raunte ihr ins Ohr: »Ich steh auf ältere Frauen, weißt du? Ich find' euch beide stark.«
    Bille nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Burghart kam auch in die Küche.
    »Ich habe furchtbaren Hunger«, sagte er und öffnete seine Schränke.
    »Und ich bin furchtbar müde«, sagte ich und versuchte mühsam die Zeiger der riesigen Küchenuhr zu deuten. »Kein Wunder, es ist schon halb vier, und morgen ist mein erster Arbeitstag.«
    »Nichts zu essen da«, stellte Burghart resigniert fest. »Dabei hätte ich Hunger auf ein richtig gutes Spiegelei.«
    »Ich habe Eier in meinem Kühlschrank«, nuschelte Bille, »gehen wir hoch zu mir und machen Spiegeleier daraus.«
    Mühsam erklommen wir die Treppe in den zweiten Stock. Bille brauchte zwar mehrere Minuten, um den Schlüssel ins Schloss zu stecken, aber es gelang ihr, sechs Eier fast ohne Schale in die Pfanne zu schlagen. Die Spiegeleier verbreiteten einen vorzüglichen Duft. Leider begannen sie sich vor meinen Augen zu drehen, als sie gerade so richtig knusprig waren. Vorsichtshalber verzichtete ich auf ihren Verzehr und ließ mich nebenan auf Billes Bett plumpsen. Das ganze Zimmer drehte nun wilde Pirouetten. Mit Schaudern dachte ich an den Morgen. Achim mit den Segelohren legte sich neben mich.
    »Ich stehe auf ältere Frauen«, murmelte er und legte die Hand auf meinen Po.
    Ich raffte mich noch einmal auf.
    »Wände heg, du megelohriges Sonster!«, lallte ich, aber der jugendliche Missetäter war schon eingeschlafen, die Öhrchen unschuldig auf Billes Kopfkissen ausgebreitet.
    Mit dem letzten Rest Verstand stellte ich Billes Wecker auf halb sieben, legte ihn neben mein Ohr und sank in eine tiefe Ohnmacht.

Der Tag danach
    Als Billes Wecker um halb sieben losschepperte, erlangte ich mein Bewusstsein wieder. Kein schönes Gefühl.
    Ich schob mühsam den Arm des besoffenen Knäbleins neben mir von meinem Hintern und schlug nach der plärrenden Uhr. Das Segelohr drehte sich unwillig auf die andere Seite und kuschelte sich an Bille, die mit Burghart neben ihm lag. Keiner sonst rührte sich.
    Ich setzte mich vorsichtig auf. Mir war so elend zumute wie jemandem, der einen Liter Genever oder so im Blut kreisen spürt, in seinen Klamotten geschlafen und sich ein Doppelbett mit drei anderen Personen geteilt hat.
    Ich gehörte für drei Tage ins Bett, bei Mineralwasser und Zwieback in einem abgedunkelten Zimmer. Aber es half nichts, ich musste aufstehen, denn heute war mein erster Arbeitstag.
    Als ich über meine drei Bettgenossen hinweg ins Badezimmer stieg, merkte ich, dass die fünfhundert Meter Jogging und die Balletteinlagen von gestern ausgereicht hatten, heftigen Muskelkater in meinen Beinen zu erzeugen. In meinem Kopf hämmerte es überdies wie auf einer Großbaustelle.
    Aus dem Spiegel sah mir ein verquollenes Säufergesicht mit blutunterlaufenen Augen entgegen. Einen Augenblick lang hoffte ich, mich übergeben zu können, um auf diese Weise eine drastische Promillereduzierung zu erzielen, aber daraus wurde nichts. Ich unterzog

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